Rocking Horse Road (German Edition)
ob ich einen Tee mit ihm trinken würde im Ballentynes’ Tea Room. Hätte fast nein gesagt, aber man kann echt gut mit ihm quatschen. Denke die ganze Zeit an ihn. Er hat wirklich schöne Zähne.
20. Juni: SJ hat mir heute im Vorbeigehen zugelächelt, blieb aber nicht stehen, um mit mir zu reden, weil ein paar von den anderen dabei waren.
16. Juli: Vor ein paar Tagen hat einer von diesen kleinen Blödmännern Schokomilch im Laden verschüttet, und das meiste davon muß unter den Kühlschrank gelaufen sein. Jetzt stinkt es WIDERLICH! Mama gibt natürlich mir die Schuld, ich hätte nicht gründlich geputzt.
7. August: Ferien! Habe SJ seit Tagen nicht gesehen. Fühle mich einsam und bin traurig, was idiotisch ist, weil wir sowieso kaum je miteinander reden. Vielleicht ist er mit seiner Familie weggefahren. Mama geht mir fürchterlich auf die Nerven. Würde mich am liebsten umbringen. [Weiter mit einem Stift in anderer Farbe] DAS WAR NATÜRLICH NUR EIN WITZ! HA HA
Die Batterien in Jims Taschenlampe ließen schnell nach. Während Pete las, wurde das Licht immer schwächer, bis das Buch im Dunkel der Garage kaum noch zu erkennen war. Petes Stimme blieb klar und fest, aber er beugte sich immer weiter nach vorn, so daß er bei den letzten paar Seiten das Tagebuch fast zu verschlingen schien. 14. September: Hab heute mit Sarah Tennis gespielt. Sie hat mich total fertiggemacht – wie immer. Habe ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr nicht erzähle, was da läuft, aber ich mußte SJ versprechen, kein Sterbenswörtchen zu sagen. Er hat ja recht, niemand würde unsere Freundschaft verstehen. Nehme später den Bus in die Stadt, um ihn zu treffen. Fürchte, Mama schöpft allmählich Verdacht, weil ich so oft weg bin und nicht im Laden arbeite. Wir hatten einen Riesenstreit deswegen. Glaube, sie hat in meinem Zimmer rumgeschnüffelt. Nehme von jetzt ab das Tagebuch mit in die Schule. Zu gefährlich hier.
28. September: SJ hat mich heute nach dem Softballtraining zu sich nach Hause eingeladen. Natürlich mußten wir getrennt gehen. Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
Ich dachte, er hätte haufenweise Bücher und so, aber er hat kaum welche. ER HAT MICH GEKÜSST!!!!!! Wurde auch Zeit. Es war sehr schön, nur am Ende wurde es mir ein bißchen zu grob, und ich hab ihm gesagt, daß ich heim muß. Gut, daß ich gegangen bin, und nicht nur aus dem offensichtlichen Grund. Mama drehte sowieso durch, als ich heimkam, von wegen was mir alles hätte passieren können, als ich im Dunkeln nach Hause radelte. Wieder mal großer Streit, und ich schreibe jetzt in meinem Zimmer, anstatt mit den anderen zu essen. Hatte aber bei SJ ein paar verlorene Eier und Toast, aber das weiß Mama natürlich nicht. Ich hoffe, sie denkt, daß ich total ausgehungert bin.
PS : Die Knutscherei mit S war ganz anders als mit Phil. Weiß nicht recht, ob ich noch mal zu ihm gehen soll.
Und dann schien Lucy das Interesse an dem Tagebuch verloren zu haben. Im Oktober und November gab es fast nur leere Seiten. Der letzte Eintrag datiert vom 30. November, etwa drei Wochen vor Lucys Ermordung, das Schuljahr ging eben zu Ende. Es war eine Liste mit Weihnachtsgeschenken, die sie für ihre Familie und Freunde kaufen wollte. SJ war nicht erwähnt. Nur zwei waren durchgestrichen, ein Buch von Peter McIntyre mit dem Titel Paintings of World War Two für ihren Vater und Lavendelseife für ihre Mutter.
Pete brauchte nur eine knappe halbe Stunde, um das ganze Tagebuch vorzulesen. Seine letzten Worte hingen noch ein wenig in der Luft und verflüchtigten sich dann durch die Ritzen der Garagenwand. Wir blieben im schwindenden Licht der Taschenlampe stehen und lauschten Aslans Husten. Wir schauten überallhin, aber keiner sah den anderen an. Wir wollten nicht in ein Gesicht sehen, in dem sich unsere eigenen Gefühle spiegelten, Gefühle, für die wir selbst noch keine Worte hatten, weil uns die Erfahrung fehlte. Wir wußten nicht, ob Männer überhaupt je über solche Dinge miteinander sprechen konnten. Wir standen einfach da, in unsere Gedanken versunken. So waren unsere Gefühle Totgeburten in der Dunkelheit – ohne Namen und ohne Zuwendung.
Schließlich kramte jemand drei weiße Kerzen aus einer Kiste in der Ecke. Sie wurden in Blechbüchsen auf die Werkbank gestellt, die unser Schrein für Lucy geworden war, und feierlich entzündet. Das Tagebuch wurde sorgfältig auf die Bank drapiert, so daß es genau unter Lucys Foto lag. Die drei Flammen tanzten im Luftzug
Weitere Kostenlose Bücher