Rockoholic
weil ich immer noch meine dicke Fleecejacke anhabe. Das eBay-T-Shirt darunter klebt an mir wie eine zweite Haut. Dunstschwaden hängen über dem Gedrängel â Schwaden von heiÃen Körperausdünstungen und Amok laufenden Teenie-Hormonen. Der Song endet abrupt und alle jubeln. Die Vorband tritt ab und die Bühne wird schwarz.
»Uuaaahuuuuuuh!«, kreischt Lächelmädel. Erst da fällt mir auf, dass ich so gut wie taub bin, abgesehen von einem dumpfen Brabbeln aus dem Publikum und einer winzigen Maus, die irgendwo in meinem Innenohr fiept. Die Herde beruhigt sich wieder und ich fange an mich aus meiner viel zu warmen Jacke herauszuwinden.
Eine Ewigkeit lang passiert nichts. Hin und wieder taucht ein Roadie auf und fummelt an den Verstärkerknöpfen herum. Dann hebt sich ganz hinten der Vorhang und mit einem Schlag ist die Bühne dreimal so groÃ. Ein riesengroÃes, funkelnagelneues Schlagzeug taucht auf und alle jubeln wieder. Jaels Schlagzeug.
Mehr Roadies erscheinen und platzieren zu beiden Seiten vom Bühnenrand Mikrofonständer für Lenny und Pash und noch einen direkt in der Mitte. In der Mitte, wo Jackson stehen wird, jetzt gleich jeden Augenblick. Ich werde ihn sehen. Ich foltere meine Waden bei dem Versuch, die ganze Zeit auf Zehenspitzen zu stehen, um ihn unbedingt als Erste zu sehen, wenn er rauskommt. Man reicht mir einen Plastikbecher mit ein paar Zentimetern eiskaltem Wasser darin.
Verstärker werden herumgeschleppt, Schalter überprüft, jemand läuft ohne erkennbaren Grund von links nach rechts über die Bühne und spricht in ein Funkgerät und eine drahtige Frau kommt heraus und stellt ein Sixpack Bier auf den Rand des Schlagzeugpodests und zwei groÃe Flaschen Wasser auf die Verstärker. Der Jubel nimmt wieder zu. Das sind Pashs Biere. Das ist Jacksons Wasser. Nicht zu fassen. Seine Lippen werden gleich eine dieser Flaschen berühren.
In meiner Brust wummert es. Hinter dem Schlagzeugpodest öffnet sich ein weiterer Vorhang und zum Vorschein kommt eine Treppe, die weit nach oben führt zu einer höhergelegenen Plattform, welche sich über die ganze Bühnenbreite erstreckt. Ich schätze, von dort wird Jackson in Erscheinung treten, denn ich habe im Lungs -Magazin über ihr Konzert in Prag gelesen, dass er am Anfang des Gigs Stufen heruntergekommen ist. Ich bin noch nicht so weit. Ich bin noch nicht vorbereitet auf das, was jetzt gleich passieren wird.
Noch mehr Warterei. Ich spüre, wie die Menschenmenge hin- und herwabert und in kurzen Intervallen von mir zurückweicht, und schaffe es in so einem Moment, meine Arme aus der Jacke zu fummeln, so dass sie mir jetzt auf der Taille hängt. Ich entschuldige mich die ganze Zeit bei den Körpern neben mir, dass ich sie bei dem Versuch, die Jacke um mich herumzuknoten, betatsche. Ich bin klitschnass geschwitzt, aber vielleicht kann ich mich jetzt wenigstens ein bisschen abkühlen.
Gerade als ich die Ãrmel fertig verknotet habe, wird das Gelärme ringsum lauter. Ein Brüllen rollt wie eine Welle über uns hinweg und ich fange auch an zu schreien, obwohl ich gar nicht weiÃ, warum. Es überkommt mich einfach so. Ich stehe auf Zehenspitzen und suche mit panischem Blick die Bühne nach irgendwelchen anderen Anzeichen ab als den schwarzen Vorhängen, den Mikroständern und Verstärkern. Und endlich sehe ich auf der Seitenbühne eine Gestalt mit einer Gitarre.
Es ist Lenny Mortiro. Leadgitarrist. Er ist der Erste auf der Bühne. Die Schreie werden lauter, wie eine Million schriller Glöckchen, und die anschwellende Menschenmasse umschlieÃt mich wie die Manschette eines Blutdruckmessers. Lenny salutiert uns und marschiert zu seinem Mikro auf der linken Seite. Er trägt einen Kilt, sein Markenzeichen, dazu ein weiÃes T-Shirt mit abgefetzten Ãrmeln, so dass man seine volltätowierten Arme sieht. Er hat einen pinkfarbenen Mohawk. In Berlin war er noch grün â das habe ich auf YouTube gesehen. Ein Scheinwerferstrahl erfasst ihn, als er einen Schluck Wasser trinkt, dann hantiert er an einem Verstärker herum und spielt ein Gitarrenriff so hart und scharf, dass man sich damit den Rücken kratzen könnte.
Er ist der Punk.
In diesem Augenblick ertönt aufs Neue Gebrüll. Ich stehe wieder auf Zehenspitzen und kann nichts sehen. Dann erscheint Pash Fredericks in einer langen schwarzen Priesterkutte mit diesem weiÃen
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