Rockoholic
wohl leben. Ich kann ihr den wahren Grund für unseren Streit nicht nennen.
»Na ja, er hat jedenfalls gesagt, dass er heute Vormittag im Playhouse ist und dass er dich gern sehen will.«
»Soll ich ins Playhouse kommen? Um ihn zu treffen?«
»Ja, ich glaub schon«, sagt sie und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. »Musst du heute denn nicht zur Arbeit?«
»Ãhm, ich hab heute einen freien Tag.« Ich habe keinen freien Tag. Genau genommen vermute ich, dass ich nie wieder einen freien Tag bekommen werde, weil ich gestern einfach nicht erschienen bin. Ich schulde ihnen einen Tag, wenn überhaupt. Aber ich muss unbedingt Mac sehen â das ist wichtiger als die Arbeit. Und so fasse ich mir ein Herz und rufe bei meiner Arbeitsstelle an, sobald ich den Fön in Mums Zimmer höre.
»Hallo Hazel. Ich binâs, Jody.«
»Oh. Hallo Jody.« Hazel erinnert mich an die Pastorin aus The Vicar of Dibley . Sie ist klein, braunäugig und lächelt viel, und sie hat einen Hintern wie ein Sack zermatschter Gartenkürbisse.
»Mir gehtâs heut nicht so gut â¦Â«
»Und was war gestern?«
»Ãh. Gestern gingâs mir auch nicht so gut.«
»Ich habe dich ein paarmal angerufen, zu Hause und auf dem Handy.«
»Ja, mein Handy wurde geklaut und ⦠ich konnte nicht aus dem Bett aufstehen.«
»Warum, was fehlt dir denn?«
»Ich ⦠glaube, ich hab mir irgendwas eingefangen. In dem Fluss.«
»In welchem Fluss?«
»Im Nuff, bei der Bibliothek. Ich bin ⦠abends da langgelaufen und wurde überfallen und ⦠jemand hat mich in den Fluss geschubst.« Ich werde auf direktem Weg in die Hölle fahren.
»Oh, Jody! Das tut mir aber leid. Gehtâs dir gut?«
»Ja, mir gehtâs jetzt wieder gut. Bin bloà noch ein bisschen zittrig, weiÃt du â¦Â«
Jody Flook, du verlogenenes Miststück.
»Natürlich, natürlich. Also, du nimmst dir die ganze nächste Woche frei und erholst dich erst mal richtig. Wir haben gerade ein paar College-Praktikanten da, wir kommen also über die Runden. Mach dir bloà keine Sorgen, hörst du? Machâs gut, Jody, tschüs.«
Oh. Mein. Gott. Das war ja wohl eine absolute Spitzenlüge. Mac sagt immer: »Wenn du lügen willst, überleg dir immer, wie viel du dadurch womöglich kaputt machen kannst. Wie deine Mutter davon erfahren wird und wen du damit verletzen könntest.« Er ist achtzehn, denkt aber wie ein Achtzigjähriger. Aber ich hab mir überhaupt nichts überlegt, als ich meiner Chefin erzählt habe, dass ich überfallen worden sei. Ich hatte mich auf einen Riesenanschiss gefasst gemacht und mit meiner zweiten Abmahnung gerechnet und jetzt frisst mir meine Chefin aus der Hand und ich habe eine Woche frei.
Ich dusche und ziehe mir ein sauberes Nirvana-T-Shirt und den schwarzen Cardigan von Mum an. Dann gehe ich nach Seiner Lordschaft sehen. Als ich durch die Katzenklappe spähe, rechne ich erst gar nicht damit, dass er noch immer da sitzt, bestimmt ist er in der Nacht wieder ausgebüxt. Aber alles ist so, wie es sein sollte â er schläft und das Zimmer sieht aus wie ein Mini-Schlachtfeld. Er rührt sich nicht, darum mache ich mich auf in Richtung Playhouse Theatre .
Der alte Knacker hinterm Kartenschalter, George Milne, will mich erst nicht hineinlassen. Ich frage mich, ob er sich an mich von der Nacht auf dem Parkplatz erinnert. »Geh zum Bühneneingang und gib den Code ein, wenn du zur NAOG gehörst«, blafft er, ohne von seiner Zeitung aufzusehen. Er meint die Nuffing-Amateur-Opern-Gesellschaft.
»Ich gehöre nicht zur NAOG. Ich muss einfach meinen Freund sprechen. Er probt heute für die Rocky Horror Show. Er hat mich gebeten herzukommen. Bitte, es ist wirklich wichtig. Sagen Sie ihm einfach, Jody ist hier.«
»Na gut, ich kann ja mal nachsehen gehen«, sagt er und legt in Zeitlupe die Zeitung beiseite.
»Mackenzie Lawless. Er spielt die Hauptrolle. Frank-N-Furter. Sie können ihn gar nicht verfehlen.«
George verschwindet vor sich hin brummelnd und ich drücke mich im Foyer herum, sehe mir die Plakate zurückliegender Aufführungen an und verspüre ein fast überwältigendes Verlangen nach saurem Fruchtgummi. George kehrt schweigend zurück, wirft mir einen kurzen Blick zu, und gerade als er wieder hinter seinem Kartenschalter verschwindet, taucht
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