Rockoholic
Mac auf. Er trägt ein verblichenes Rugby-Shirt und schwarze Strümpfe und stöckelt auf unfassbar hohen roten Lackstilettos heran. Unter seinem Arm klemmt eine zusammengefaltete Zeitung und in der Hand hält er meinen Rucksack.
»Was zum Teufel hast du da an?«, sagt er und mustert meine Cardigan- und Nirvana-T-Shirt-Kombi. Er reicht mir meinen Rucksack. »Marks & Spencer Grunge-Kollektion, was?«
»Sagt der Junge mit den Netzstrümpfen.«
Er lächelt kurz, dann verfinstert sich sein Gesicht. »Was hast du da am Ohr?«
Ich berühre die Stelle hinter meinem Ohr. »Ach das, bloà eine Schramme. Von meinem Sturz beim Konzert.«
»Lass mal sehen.« Er hebt mein Haar hoch und streicht mit dem Finger ganz sacht über den Kratzer. Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. »Hast du irgendwas draufgemacht?«
»Nein, ist auch nicht weiter wild. Ich sitze echt bis zum Hals in der ScheiÃe.«
»Ich weië, sagt er. »Ich hab dich zigmal angerufen gestern. Wo hast du gesteckt? Ich hab schon gedacht, du bist entführt worden.«
»Pst«, sage ich und werfe einen Blick zu Georges Plexiglaskabine hinüber. Er hat sich wieder seiner Zeitung gewidmet und aus einem kleinen Radiogerät auf seinem Tisch plärrt unter Knacken und Knistern eine Quizsendung. Mac steht da, die Hände in die Hüften gestemmt. Ich muss unwillkürlich lächeln. »Ich hab nicht geglaubt, dass du noch mit mir reden würdest. Du bist ziemlich sauer abgedampft.«
»Ich war nicht sauer«, seufzt er theatralisch. »Ich wollte bloà einfach nichts mehr mit diesem Wahnsinnigen zu tun haben. Aber ich war der Meinung, dass du das hier sehen solltest.«
Er schlägt die Zeitung auf und hält sie mir so dicht vors Gesicht, bis ich nur noch die Schlagzeile sehen kann.
ROCKSTAR VERMISST
Ich reiÃe ihm die Zeitung aus den Händen. Wir gehen durchs Foyer und dann die Treppe hinauf zur Bar im ersten Stock, um möglichst weit auÃer Georges Hörweite zu sein. Ich glaube, ich atme erst wieder, als wir oben angekommen sind. Eine Discokugel glitzert in der Mitte der Zimmerdecke, aber die Rollos an den Fenstern sind alle unten und die Stühle hochgestellt. Meine Stimme senkt sich zu einem Flüstern, als ich weiterlese. »ScheiÃe, scheiÃe, scheiÃe, scheiÃe.«
Mac setzt sich an einen niedrigen Tisch und schlägt seine netzbestrumpften Beine übereinander. »Wo ist er?«
»In unserer Garage. Er will nicht von da weg. Ich hab ihm gesagt, er soll gehen, aber er tutâs einfach nicht.«
Er sieht mich scharf an. »Du hast ihm wirklich gesagt, er soll gehen?«
»Ja. Er hat sich total breitgemacht. Und seine Kotze auch.«
Mac verzieht das Gesicht. »Er gibt also keine gute Figur ab?«
»Der Typ ist ein Albtraum, Mac. Er ist wie Gollum. Er ist total launisch und wirft mir ständig alle möglichen Schimpfwörter an den Kopf. Erinnerst du dich noch an diesen Wutanfall von Cree, als wir am Strand waren und sie zehn Runden mit dem SpongeBob-Karussell fahren wollte? Genau so ist er. Die ganze Zeit. Sitzt da, zuppelt an seinem Lederband rum und beleidigt mich, sobald ich in seine Nähe komme. Und verlangt ⦠ach. Ich hab lauter Sachen für ihn eingekauft und er hat sie mir alle an den Kopf geworfen, buchstäblich. Aber aus irgendeinem Grund will er nicht gehen. Ich glaub fast, er hat Angst oder so.«
Macs Augenbrauen schieÃen nach oben. »Tja, ich sag jetzt nichts.« Â
»Ich weiÃ, ich weiÃ, du hast mich gewarnt«, seufze ich und blättere auf Seite sechs vor, um den Rest des Artikels zu lesen. Meine Augen fliegen über die Zeilen.
Die Sorge um den seit zwei Tagen spurlos verschwundenen Leadsänger einer der populärsten Rockbands Amerikas wächst.
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Der 27-jährige, der an Depressionen leidet, hat keine Nachricht hinterlassen und am Abend seines Verschwindens auch niemandem gesagt, wo er hingeht.
Der Manager der Band, Frank Grohman, sagt aus: »Ich erinnere mich, dass ich Jackson kurz vor der Zugabe im Sanitätsraum gesehen habe. Er wirkte ausgeglichen, er
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