Römer im Schatten der Geschichte
seiner Frau Vellia Cinnamis. Errichtet,als Claudius Philadespotus, kaiserlicher Freigelassener, Priester war und Quintus Julius Marullus Konsul war, am sechsten Tag vor den Kalenden des November. (
CIL
X 1549, Pozzuoli, Italien)
Daneben dienten Freigelassene aber auch als Priester anderer Gottheiten. Aus Chieti stammt zum Beispiel die Weihung eines Freigelassenen und Priesters der Venus:
Gaius Decius Bitus, der Freigelassene des Gaius, Priester der Venus, weihte dies der Freigelassenen Peticia Polumnia. (
AE
1980, 374)
Andernorts wiederum findet man Freigelassene im kultischen Dienst der Vestalinnen:
Decimus Licinius Astragalus, Freigelassener des Decimus, Priester der Vestalinnen [weihte dies]. (
CIL
VI 2150, Rom)
Und der Ceres:
Publius Valerius Alexa, Freigelassener des Publius, lebte fromm 70 Jahre, ein Priester der Ceres. Er liegt hier. (
ILTun
1063, Karthago)
Helvia Quarta, Freigelassene, Priesterin der Ceres und Venus, errichtete dieses Grabmal für sich zu ihren Lebzeiten. (
CIL
IX 3089, Sulmona, Italien)
Freigelassene waren also in vielen Kulten tätig. Die von mir untersuchten annähernd 250 lateinischen Inschriften, die Gelübde an Götter enthalten, richten sich, lässt man die unzweifelhaft lokalen Gottheiten außer Acht, zur guten Hälfte an Götter der römischen Religion: an Jupiter in seinen vielen Gestalten, an Herkules, Merkur, Silvanus, Juno, Diana, Apollo und Fortuna. In Isis ist die einzige »ausländische« Religion vertreten. Allerdings geht aus weiteren Belegen hervor, dass Freigelassene sich auch einem weiteren »ausländischen« Kultus anschlossen, dem der phrygischen »Großen Mutter«
(Magna Mater),
als deren Priester einige von ihnen bezeugt sind. Diese Spannbreite von traditionellen bis zu neueren Göttern ist typisch für die aufgezeichneten Weihungen der Bevölkerung überhaupt. Festzuhalten ist: Die Freigelassenen sind hinsichtlich des religiösen Moments ihres sozialen und kulturellen Lebens nicht von anderen freien Römern zu unterscheiden.
Und auch nicht im Tod. Auf der Isola Sacra zwischen Rom und Ostialiegt ein Friedhof mit den Gräbern gewöhnlicher Römer. Auf diesem Friedhof sind die Grabstätten von Freigelassenen und freigeborenen Römern weder voneinander getrennt noch zu unterscheiden. Es gibt weder eine »Freigelassenen-Kunst« noch »Freigelassenen-Bestattungsbräuche« noch einen »Freigelassenen-Bezirk«. Wie andere religiöse Aspekte war die Ehrung der Toten an die allgemeinen Normen und Gewohnheiten der Bevölkerung gebunden. Freigelassene heben in ihren Grabmonumenten den besonderen Stolz auf ihre Familie und ihre Freiheit hervor; im Übrigen weichen sie in keiner Weise vom Vorgehen derjenigen ab, mit denen sie im Leben engeren Umgang gepflegt hatten.
Fazit
Der Freigelassene lebte mit der fortdauernden Last seiner früheren geknechteten Existenz, die ihn alptraumartig bedrückte. Das jedenfalls wird uns suggeriert. Dieser vorherrschenden Auffassung nach lebten die Freigelassenen wegen des früheren Status als Unterworfene unter dem Schatten eines Stigmas und blieben mit diesem Stigma lebenslang behaftet, mochten sie auch noch so erfolgreich sein. Die Elite, der nur ein »freies« Leben als lebenswert galt – das heißt ein Leben, das ideell, wenn auch nicht realiter von der Unterwerfung unter einen anderen frei war – betrachtete die bloße Tatsache einer unfreien Herkunft als unauslöschliches Kainsmal, das seinen Träger zu einem Leben in Angst und Unsicherheit, wenn nicht gar zum Selbsthass verdammte. Die Quellen bestätigen das allerdings nicht. Freigelassene bezeichnen sich anscheinend ohne Scham und häufig mit offenkundigem Stolz auf ihren Grabsteinen als »Ex-Sklaven«. Wo die Elite das ehemalige Sklavendasein betont, bekundet der Freigelassene Stolz auf seinen Erfolg als guter Sklave, dem er seine Freiheit verdankt. Denn er war allermeist »befördert«, das heißt freigelassen worden, weil er die ihm übertragenen Aufgaben zufriedenstellend ausgeführt hatte. An seiner früheren Versklavung traf ihn keine Schuld, und sein Aufstieg in eine neue Existenz war ein sicheres Zeichen seiner Fähigkeiten, denn er hatte die Situation aufs Beste genutzt. Sein Sklavenleben war sein Zuhause gewesen; in der Regel blickte er nach seiner »Beförderung« mit Sympathie auf seine frühere Sklavengemeinschaft zurück undbewegte sich nach seiner Freilassung frei zwischen beiden Welten – eine Schwellenexistenz, doch ohne
Weitere Kostenlose Bücher