Römer im Schatten der Geschichte
tatsächlich eingetrieben wurde, lässt sich jedoch nicht feststellen. Wesentliche Details sind unbekannt, zum Beispiel für welchen Zeitraum die Steuer erhoben wurde (für einen Tag? einen Monat?). Wenn also eine Prostituierte, die einen Denar verlangte, fünf Mal pro Tag einen Beischlaf absetzte und die Steuer täglich bezahlte, hätte sie 20 Prozent ihrer Einnahmen dem Staat abgeliefert. Wenn die Steuern dagegen monatlich anfielen und sie regelmäßig zu demselben Preis arbeitete, dann hätte sie in, sagen wir, 20 Arbeitstagen im Monat 20 × 5 = 100 Denare verdient, von denen nur ein Denar an Steuern bezahlt wurde, ein Satz von einem Prozent. Letzteres ist sehr viel wahrscheinlicher, da sich die Steuersätze in anderen Milieus normalerweise im ein- bis fünfprozentigen Bereich bewegten. Faktisch wurden die Steuern statt von der Prostituierten selbstmöglicherweise vom Zuhälter oder sogar von einem Besitzer mehrerer Bordelle bezahlt. Strichmädchen sahen sich vermutlich dem gnadenlosen Druck von Beamten ausgesetzt, die Bestechungsgelder oder eine Bezahlung in Naturalien erwarteten. Dasselbe galt, wie man sich vorstellen kann, für Frauen, die einer Mehrfachbeschäftigung in der Prostitution und in anderen, steuerfreien Berufen nachgingen – als Stubenmädchen, Bedienerin in einer Taverne oder Unterhaltungskünstlerin. Die vorliegenden Zeugnisse liefern Beispiele für die Besteuerung aus weit auseinanderliegenden Gebieten des Reiches; die Steuer wurde also offenkundig reichsweit erhoben. Aus Ägypten sind sogar einige Quittungen wie die folgende erhalten:
Pasemis, an Senpsenmonthes, Tochter des Pasemis, Grüße. Ich habe von dir als Steuer für Prostituierte in Memnonia für das erste Jahr Neros, des Kaisers, vier Drachmen erhalten. Datiert am fünfzehnten Tag des Monats Pharmouthi. (
O. Berl.
Inv. 25474)
Das planvolle Vorgehen – ein Steuerregister, regelmäßiges Inkasso, ein System zur Gewährung von Eintageslizenzen – macht es deutlich: Die Steuer für Prostituierte wurde mit großem Eifer eingezogen und verschaffte, wie man wohl mit Recht annehmen darf, der Regierung nicht unerhebliche Einnahmen.
Die Erhebung der Steuern war die einzige Form, in der der Staat in das Leben der Prostituierten eingriff, es sei denn, dass es im Verlauf ihrer Tätigkeit zu wilder Unruhe oder zu Schäden kam. Natürlich konnte die Prostitution Ursache oder Begleiterscheinung von Rüpeleien sein. Im Blick darauf behielt der für die öffentliche Ordnung zuständige Magistrat – in Rom die Ädilen – die einschlägige Tätigkeit im Auge. Da es jedoch kein ungesetzliches Gewerbe war, konnte nur die Störung der öffentlichen Ordnung amtliche Interventionen auslösen.
So sorglos war die Einstellung der Behörden gegenüber diesem Gewerbe, dass jeder Versuch fehlte, die Prostitution »einzugrenzen« – kein Rotlichtbezirk also. Der Strich war kreuz und quer über Groß- und Provinzstädte verstreut. Natürlich war die Aktivität in einigen Gegenden lebhafter als in anderen, zum Beispiel um das Forum und die Tempel herum oder, in Rom, im berüchtigten Viertel Subura. Aber Dirnen waren in einer Stadt fast überall zu finden. Gesundheitliche Fragen waren fürdie Bürokratie kein Thema. Und abgesehen von den Steuern und dem sozialen Stigma, das für einen Teil der Bürger mit dem Beruf verknüpft war, hatte die Ausübung der Prostitution für die betroffenen Frauen kaum praktische Konsequenzen.
Rein theoretisch betrachtet, muss die Prostitution für eine Frau im marktgängigen Alter und/oder in verzweifelter Lage sehr reizvoll gewesen sein. Das Einkommen war potenziell gut, Mädchen, die man für mögliche Interessentinnen hielt, wurden mit dem Versprechen von Kleidung und anderen Verlockungen geködert, und andere Fähigkeiten oder Produkte hätten ihnen nicht annähernd so viel eingebracht – mit Sicherheit weder die Weberei noch die Tätigkeit als Amme, die zwei anderen wichtigen Einkommensquellen der Frauen. Doch das System war nicht darauf eingerichtet, die individuelle unternehmerische Prostitution zu begünstigen, auch wenn einige Freudenmädchen tatsächlich selbständig arbeiteten, was sich daran ablesen lässt, dass sie die Prostitutionssteuer zahlten. Der Zuhälter, eine Standardfigur in Theaterstücken und Erzählungen zum Thema Prostitution, war omnipräsent. Er – oder sie, denn zweifellos gab es auch Zuhälterinnen (Taf. 23) – organisierte und kontrollierte die Prostituierten und beutete sie aus, wenn
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