Römer im Schatten der Geschichte
des Gladiators bewirkte. Und schließlich konnte ein Gladiator nicht Soldat werden (»Ehrlose dienen nicht in der Armee«), aber man traf die Wahl zwischen dem Eintritt ins Heer und dem Auftritt in der Arena, so dass sich einem aktiven Fechter die Frage eines Eintritts in die Armee wohl kaum stellte. Die wenigen Gegenbeispiele erscheinen ausnahmslos in rhetorischen Übungen der Oberschicht und sind unverkennbar zu diesem Zweck gewählt.Kurz, das Abstempeln zum Ehrlosen von Berufs wegen blieb für die meisten Gladiatoren in wichtigen Lebensbereichen ohne Folgen – und zweifellos tat es dem Vergnügen des Publikums und seiner enthusiastischen Bewunderung für die Stars der Arena keinen Abbruch.
Dieser Widerspruch zwischen einer angeblichen Schande und deren geringer Auswirkung auf das Ansehen in der breiten Bevölkerung zeigt sich am deutlichsten in den Grabinschriften von Gladiatoren. Sie sind zahlreich und höchst informativ. Bemerkenswert ist vor allem eins: Unter allen, die als ehrlos gelten – Bestattungsunternehmer, Sklavenhändler, Dirnen, Kuppler und Gladiatorenmeister –, sind mit einer Ausnahme allein die Epitaphe der Gladiatoren nach Inhalt und ausgedrückten Gefühlen von denen der Durchschnittsrömer nicht zu unterscheiden. Gleiches gilt nur für die Grabinschriften von Schauspielern, einer anderen Gruppe von Unterhaltungskünstlern, für die sich die Menge begeisterte und die ihrerseits von der Oberschicht für ehrlos erklärt wurde. Mit anderen Worten, Gladiatoren machten aus ihrem Beruf kein Geheimnis; sie strichen ihn vielmehr heraus, denn sie waren stolz darauf, und seine packende Wirkung übertrumpfte jedes angebliche Stigma, das ihm theoretisch anhaften mochte.
Dass dieses Stigma im Wesentlichen ein Hirngespinst der Elite war, zeigt sich an einer aufschlussreichen Bemerkung in den Rechtsschriften. Der Jurist Ulpian hält fest, dass Arenakämpfer, die sich nicht bezahlen lassen, von der
infamia
nicht betroffen sind: »So sagen auch die alten Juristen, daß diejenigen kein Vorwurf trifft, die dies tun, um ihren Mut zu beweisen, nicht um des Lohnes willen« (
Digesten
3,1,1,6). Der Haupteinwand gegen den Beruf des Gladiators galt also nicht der Beschmutzung durch Blut, sondern der durch Abhängigkeit – die Arbeit gegen Entlohnung. Der Hinweis, dass gewöhnliche Menschen ständig für Geld arbeiteten, ist wohl überflüssig; ihr Leben hing davon ab. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie die engstirnige, die Kämpfer diskriminierende Auffassung der Oberschicht teilten.
Der Sklavengladiator, der im Verlauf seines Diensts in der Arena von einem römischen Bürger freigelassen wurde, hatte unter einem sehr konkreten und härteren Nachteil zu leiden als dem der vorgeblichen »Schande« – er betraf das praktische Leben. Ihm blieb das römische Bürgerrecht versagt, das eigentlich Teil seiner Freilassung war. Hier ließ sich das Stigmatisierungsurteil der Elite durchsetzen, denn die Freilassungeines Sklaven konnte ein Rechtsverfahren sein. Aber der Sklave ergriff den Beruf nicht wie der
auctoratus
aus eigenem Willen. Für den Freiwilligen fielen absehbare soziale Sanktionen durch Mitbürger, die entweder zum geistigen Umfeld der Oberschicht zu rechnen waren oder vor dem blutigen Gemetzel echten Abscheu empfanden, kaum ins Gewicht, vor allem gemessen am zwielichtigen, vielleicht aber auch echten Ruhm, der ihm infolge des gewählten Berufs zufiel.
Während seiner Dienstzeit hatte der Gladiator, so er nicht selbständig operierte, Anschluss an eine
familia
. In der
familia
(wörtlich »Hausgemeinschaft«) waren das Zusammenleben und die Ausbildung organisiert; manchmal war sie wie in Pompeji in einem eigenen Gebäude untergebracht, manchmal lebten die Fechter in der Stadt und aßen und trainierten zusammen. Der 1997 in Ephesos entdeckte Gladiatorenfriedhof lässt sich zwar nicht zweifelsfrei dem Besitz einer einzelnen
familia
zuordnen, doch die Tatsache, dass dort 67 Gladiatoren und ein Veteran des Standes, der Trainer und vielleicht auch Manager, zusammen begraben sind, legt einen solchen Zusammenhang nahe.
Die
familia
erinnert, wie so viele Aspekte des Gladiatorenlebens, an die Welt des Militärs. Es gab »Dienstgrade«. Ein Neuling, der soeben den Eid abgelegt und sich der Branche angeschlossen hatte, war ein
novicius
. Im Lauf der Ausbildung erhielt er den Spitznamen
tiro
– ein Wort, das auch den noch ungeübten Rekruten bezeichnete. Dieser Grad blieb ihm bis nach dem ersten Kampf, in
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