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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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gleich dem vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere. Darum hat sie auch Gott gegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst, sie die Gottes Wahrheit haben verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr als demSchöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit. Amen. Darum hat sie Gott auch dahingegeben in schändliche Lüste; denn ihre Weiber haben verwandelt den natürlichen Brauch in den unnatürlichen; desgleichen auch die Männer haben verlassen den natürlichen Brauch des Weibes und sind aneinander erhitzt in ihren Lüsten und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihres Irrtums (wie es denn sein sollte) an sich selbst empfangen. (Römer 1,21 – 27)
     
    Er fährt fort, ihre übrigen abscheulichen Fehler und Mängel aufzuzählen, doch wichtig ist die Feststellung, dass er den Polytheisten, milde gesagt, Aufgeschlossenheit für homosexuelle Akte attestiert. Damit ist weder gesagt, dass alle Römer der Homosexualität zuneigten, noch dass alle von ihnen bösartig, falsch, arrogant, herzlos u. s. f. waren – weitere Attribute, die er ihnen in diesem Abschnitt zuschreibt. Sicher aber ist gemeint, dass diese Praktiken ein fester Teil polytheistischer Kultur waren. Die Tatsache, dass Paulus sich dezidiert gegen Homosexualität ausspricht, lässt vermuten, dass seine Hörer seine Meinung teilten, zumindest aber von ihrer Notwendigkeit überzeugt werden konnten. Eine solche Auseinandersetzung kommt nicht von ungefähr. Paulus’ Briefadressaten und Hörer standen der Homosexualität entweder ablehnend gegenüber oder konnten leicht zu dieser Einstellung bekehrt werden. In Anbetracht der Zeugnisse Artemidors und des
Carmen
möchte ich annehmen, dass einem großen Teil der gewöhnlichen Menschen diese Haltung entgegenkam, weil derartige sexuelle Gewohnheiten und folglich auch diejenigen, die ihnen anhingen, als verächtlich galten.
    Die Einstellung der Normalbevölkerung zur Sexualität ergibt also kein homogenes Bild. Offensichtlich gab es Männer, die dem sexuellen Verhalten ihrer Mitmenschen gleichmütig gegenüberstanden und es nicht mit dem größeren gesellschaftlichen Kontext, sondern, ganz im Sinn der Elite, nur mit individuellen Situationen verknüpften. Die Graffiti in Pompeji, Kritzeleien einer »exklusiven« Gruppe aggressiver Männer, passen in dieses Bild. Daneben gab es diejenigen, die eine maßvoll gelebte eheliche Sexualität zum Zweck der Fortpflanzung für das angemessene Modell hielten, die zwar Abweichungen unterschiedlichen Grades zugestanden, so vielleicht Sexualverkehr mit Sklaven entschuldigten, im Kern jedoch an ihren Wertvorstellungen festhielten. Dieser Aspekt kommt indem soeben aufgeführten Material weit stärker zum Ausdruck. Das Bild ist komplex und sollte als solches akzeptiert werden, doch allgemein lässt sich sagen, dass gewöhnliche Bürger sich dem Modell der Ehe stärker verpflichtet fühlten und eher geneigt waren, homosexuellen Verkehr zu kritisieren, als der elitäre Zirkel ihrer Führungsschicht.
    Dass Ehe und Sexualität die Normalbevölkerung beschäftigen, war zu erwarten. Einen eher unerwarteten Schwerpunkt in der Literatur der Astrologie und der Träume bildet das Reisen. Reisen waren nichts Außergewöhnliches. Man denkt sogleich an Vergnügungsfahrten, vielleicht zu Festspielen in kleinerer oder größerer Entfernung, an Geschäftsreisen oder Reisen unter Zwang. In Apuleius’ Roman finden sich alle drei Arten der Bewegung, und in astrologischen Texten sind die beiden Letzteren besonders breit belegt. Auch im Neuen Testament liest man von Menschen, die entweder aus geschäftlichen oder aus religiösen Gründen quer durchs Kaiserreich unterwegs sind. Doch Reisen war gefährlich. Schlechtes Wetter, Banditen und Piraten, Unfälle und unehrliche Beamte sind nur wenige von unzähligen Gründen. So liegt es auf der Hand, dass Reisen vor oder auch während des Unternehmens Grund zur Beunruhigung gaben. Ebenso eine längerfristige Emigration. Aus den vielen Inschriften, in denen eine Person als
alienus
(Nichtansässiger) bezeichnet ist, wissen wir, dass solche Wanderungsbewegungen sehr üblich waren. Außerdem machte man sich Sorgen um Verwandte im Ausland, einen Sohn zum Beispiel, und bangte um deren glückliche Rückkehr. Eine andere Dimension kam bei Reisen unter Zwang ins Spiel, denn man konnte verbannt werden – für den Normalbürger zwar kaum

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