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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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Gegenstand der Sorge – oder musste auf der Flucht vor Schulden notgedrungen sein Haus verlassen, oder man konnte als Verbrecher abtransportiert werden oder infolge einer Naturkatastrophe zum Ortswechsel gezwungen sein. Das beste Resultat des Reisens war wirtschaftlicher Gewinn, doch die Risiken der Schifffahrt, der Haupteinnahmequelle des Fernverkehrs, waren immens, ebenso die erforderlichen Investitionen (und oft auch Schulden). Reisen waren darum ein zentraler Grund zur Besorgnis.
    Zu alldem galt es auch noch die Behörden im Auge zu behalten, um, wenn überhaupt möglich, einen Arrest zu vermeiden. Ein langer Abschnitt im
Carmen
berichtet über die Fesselung mit Ketten, und bei Artemidor sind zahlreiche Träume erwähnt, die sich auf das Schicksal vonKriminellen und Gefangenen beziehen: Verurteilung, Fesselung oder Kerker, die Aussicht auf Misshandlungen und Schläge oder Hinrichtung (Kreuzigung oder Enthauptung). Die Vertreter der Obrigkeit neigten ganz allgemein dazu, ihren Einfluss geltend zu machen, so dass man ihnen am besten aus dem Weg ging. Und da sie das Rechtssystem kontrollierten, war es von Vorteil, Verwicklungen zu vermeiden.
    Recht, Verbrechen und Gewalt im Alltag
    Der Literatur der Elite zufolge war das römische Recht die Grundlage der römischen Kultur. Wissenschaftler aller Jahrhunderte haben diesen Glaubenssatz wiederholt, obwohl sie die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Bevölkerungssegmente in der Rechtsprechung zur Kenntnis nahmen. Der einfache Römer allerdings hatte andere, ablehnende Gedanken, wenn es um das Rechtssystem ging. Die folgende einfache Erklärung des Paulus sagt viel:
     
    Wie darf jemand unter euch, so er einen Handel hat mit einem andern, hadern vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen? Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? So nun die Welt soll von euch gerichtet werden, seid ihr denn nicht gut genug, geringe Sachen zu richten? Wisset ihr nicht, daß wir über die Engel richten werden? Wie viel mehr über die zeitlichen Güter. (1. Korinther 6,1 – 3)
     
    Paulus dringt darauf, Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde beizulegen und nicht vor Gericht zu bringen. Darin zeigt sich das prinzipielle Misstrauen des Apostels gegenüber dem öffentlichen Gerichtshof, von dem er für seine Anhänger offenbar kein faires Verfahren erwartet. Obwohl Paulus’ Situation aufgrund des religiösen Elements als Sonderfall gelten könnte, gibt es doch zahlreiche andere Hinweise darauf, dass der gewöhnliche Römer das Rechtssystem fast systematisch mied. Überraschend ist das kaum: Das System des römischen Rechts war von der Elite geschaffen worden, und die Gesetze wurden zu ihren Gunsten ausgelegt. Zwar wurden gewisse Fälle des einfachen Volkes zweifellos angehört und behandelt; die
Digesten
enthalten Erlasse mit Bezug auf einfache Römer, etwa einen Bauarbeiter (4,65,2) oder einen Wohnungsmieter(4,65,3). Doch aus der Rechtsstruktur ergaben sich gravierende Hemmnisse.
    Die amtlichen Hürden aber waren nur die Spitze des Eisbergs. In einer Welt, in der persönliche Beziehungen und Wohlstand den Zugang zu allem Begehrten verschafften, nahmen die Nachteile mit abnehmender Ranghöhe zu. Die Situation war zum Verzweifeln: Klagen kosteten Geld, und alles, was Klagen befördern konnte – der Beistand der Mächtigen, Unterstützung durch Gleichrangige, die Erwartung einer Gegenleistung –, konnte ebenso gut gegen den Betroffenen wie zu seinen Gunsten wirken. Der Jakobusbrief (2,6) nennt diese Realität beim Namen: »Sind nicht die Reichen die, die Gewalt an euch üben und ziehen euch vor Gericht?« Die innere Einstellung, die die amtlichen Hindernisse herbeiführte, wirkte zweifellos weit über diese Beeinträchtigungen hinaus. So kam es dazu, dass es für Personen von niedrigerem Status schwierig war, Höherrangige auf die Anklagebank zu bringen, und praktisch aussichtslos, einen solchen Prozess zu gewinnen, es sei denn, der Fall war dank Patronage durch einen mächtigen Schirmherrn zu einem Rechtskonflikt zwischen Gleichrangigen geworden. Aus Apuleius’ Hohn auf die »Gerechtigkeit« spricht ein vernichtendes Urteil über das ganze Rechtssystem:
     
    Was wundert ihr euch also, ihr Hohlköpfe, vielmehr ihr Schafe vor Gericht, nein, ihr Geier in der Robe, wenn heutzutage alle Richter ihr Urteil für Geld verschachern? (
Der goldene Esel
10,33)
     
    Auch Petron bringt in einer Episode die offenkundige Ungerechtigkeit des Rechtssystems zur Sprache.

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