Römer im Schatten der Geschichte
Enkolpius und Askyltos, die Hauptfiguren, haben einen Mantel verloren, in dessen Saum Goldmünzen eingenäht sind. Sie entdecken diesen Mantel auf den Schultern eines armen Marktverkäufers und besprechen, wie sie ihn zurückbekommen können. Enkolpius ist dafür, den jetzigen Besitzer vor Gericht zu ziehen, um ihr Eigentum einzufordern. Askyltos »dagegen scheute … das Gesetzbuch« und widerspricht:
»Wer kennt uns hier, und wer wird überhaupt unseren Aussagen Glauben schenken? Ich bin entschieden dafür, daß wir kaufen, obwohl uns gehört, was wir als unser Eigentum erkennen, und daß wir lieber für ein paar Groschen unseren Schatz wieder an uns bringen als uns auf einen unsicheren Prozeß einlassen:
Wozu nützen die Gesetze,
wenn der Mammon nur regiert.
Wenn der kleine Mann der Straße
immer den Prozeß verliert?
…
Also ist ein Trödelladen
und nichts weiter das Gericht:
wer den Vorsitz hat, den zahle,
sonst kriegst du die Ware nicht!« (
Satyrica
13 f.)
Ähnlich klingt es bei Artemidor: Träume von Gerichtshöfen, Richtern, Anwälten und Rechtsgelehrten »prophezeien jedermann Aufregungen, Ärger und ungelegene Ausgaben; sie bringen Verborgenes zutage« (
Traumbuch
2,29). Und weiter: Ein Richter ist ein Mensch, der tut, was er will, ohne dafür irgend jemandem Rechenschaft zu schulden (4,66). Ebenso harsche Kritik wird im
Carmen
geübt. Zu den negativen Faktoren, die zu einem fragwürdigen Urteil führen konnten, gehörten die Ungerechtigkeit des Richters, Bestechung, Druck und Günstlingswirtschaft (
Carmen
5,33). In einer so korrupten Umgebung fehlten dem gewöhnlichen Römer natürlich Geld und Einfluss, Mittel, um sich gegen Personen von Stand zur Wehr zu setzen. Den Rechtsweg zu beschreiten war also immer riskant. Im
Carmen
finden sich ausführliche Überlegungen zur Streitschlichtung und im Besonderen zum Ausgang von Rechtsverfahren. In solchen Situationen suchte man Konflikte auf anderem Weg zu lösen. Am beliebtesten war die Vermittlung durch die Familie oder durch eine Gruppe Gleichgestellter, Geschäftspartner etwa, wie es auch Paulus seinen Glaubensgenossen in Korinth empfahl. Grundsätzlich aber galt: Der gewöhnliche Römer suchte Rechtsverfahren zu vermeiden. Die meisten nutzten das Rechtssystem nur in Fällen wirklich wichtiger Fragen, die über Lokales hinausgingen, oder wenn Rang, Beziehungen und Mittel einen Erfolg versprachen.
Juris consultus abesto
(Anwalt, bleib fern!) – wie wahr!
In einer Gesellschaft mit so weit verbreiteter Arbeitslosigkeit, um nicht zu sagen ausgesprochener Armut, war Diebstahl ein ständiges Problem. Eine reguläre Polizei, die durch die Straßen patrouillierte, gab es nicht. Ein Nachtwächter, der in Provinzstädten oft nach einbrechender Dunkelheitunterwegs war und Verhaftungen vornehmen konnte, wirkte wenig abschreckend. Im
Carmen
wird eine Reihe von Diebstählen erwähnt, und eine Kapitelüberschrift lautet: »Wenn du etwas über einen Diebstahl wissen willst, der begangen wurde, oder etwas, das verlorenging, ob man es wieder besitzen wird oder nicht«:
Dieses Gut wird schnell und ohne Mühe gefunden … dieses sein Gut, das abhanden kam, wird nach langer Zeit und mit Mühe gefunden … daß die Diebe das Gut vom ersten Platz, an den sie es brachten, als sie es stahlen, an einen anderen Ort brachten … dass es nach Zeit und Mühe gefunden wird … dass es richtiger ist, dass es gefunden wird … dass dieses Gut, das gestohlen wurde oder abhanden kam, gefunden wird … dass es nicht gefunden wird … dass die Sache, die gestohlen wurde oder abhanden kam, verschwinden wird, so dass er sie nicht besitzen wird … dass er die Sache, die gestohlen wurde oder abhanden kam, bald besitzen wird … dass er die Sache, die gestohlen wurde oder abhanden kam, nicht besitzen wird, und dass es für den Besitzer nicht nötig sein wird, danach zu suchen, denn er würde sich plagen, ohne etwas zu erreichen … dass er die Sache, die gestohlen wurde oder abhanden kam, nicht besitzen wird außer langsam und mit Mühe oder mit Streit und Kränkung und Kampf. (
Carmen
5,35)
Bei Artemidor richtet sich eine Traumdeutung sogar direkt an den Verbrecher. Wenn ein Mann seines Schlages von Sternen träumt, die vom Himmel fallen, wäre das »einzig Leuten, die ein schändliches Verbrechen ausführen wollen, … von guter Vorbedeutung« (
Traumbuch
2,36). Andere Träume zeigen an, dass jemand betrogen wird, dass Tempel ausgeraubt werden und Diebe einen
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