Römischer Lorbeer
mir jede Nacht sagt,
daß ich zweimal mehr Mann bin als Caelius und viermal mehr
Mann als du.«
Ich dachte, ich
wäre vielleicht zu weit gegangen, doch mein Instinkt war
richtig gewesen: Er blieb stehen und stieß ein gellendes
Lachen aus. »Du mußt ein rhetorischer Korinthenkacker
sein wie Caelius. Einer dieser Advokaten vom Forum, die die Worte
verdrehen und die Wahrheit entstellen. Warum habe ich noch nie von
dir gehört, alter Mann?«
»Weil ich kein
Redner bin, sondern ein Sucher, Catull.«
»Nun, meinen
Namen hast du schon herausgefunden. Wie lautet
deiner?«
»Gordianus.«
Er nickte. Ich sah ihn
jetzt deutlicher. Trotz seines Besuches in den Bädern trug er
noch immer seinen Stoppelbart. Der tragische Ausdruck in seinen
Augen war zurückgekehrt, selbst wenn er
lächelte.
»Bist du
durstig, Gordianus?«
»Nicht
besonders.«
»Aber ich. Kommt
mir mir.«
»Wohin?«
»Es wird Zeit,
daß wir uns unterhalten. Über sie.«
»Ich fragte
nicht, warum. Ich fragte, wohin?«
»Wohin soll man
um diese Nachtzeit schon gehen?«
*
Man folgt dem
gewundenen Pfad den Palatin hinunter bis zu einem Punkt direkt
hinter dem Tempel von Castor und Pollux, biegt links ab und geht
eine kleine (nach Urin stinkende und stockfinstere) schmale Gasse
hinunter, die hinter den Gebäuden am Nordrand des Forums
entlangführt. Wenn der Palatin links des Weges ein wenig
zurückweicht, so daß die Gasse breiter wird, gelangt man
schließlich zu einer Ansammlung kleiner Handwerksbetriebe und
Lagerhäuser. Man muß nach den kleinen Pfeilern Ausschau
halten, die Namen und Art des Gewerbes anzeigen. Wenn man die
neunte Säule erreicht, sieht man eine Lampe über der
Tür eines Lokals hängen, das all die willkommen
heißt, die nicht schlafen können oder mit dem Trinken,
Huren und Spielen nicht aufhören wollen. Das ist der Ort, den
Catull die »geile Kneipe« nannte.
Eigentlich hat das
Lokal gar keinen Namen, jedenfalls ist keiner an dem Pfeiler vor
der Tür angeschlagen. Statt einer Inschrift prangt dort ein
aufrechtstehender Phallus aus Marmor. Die Lampe, die ein
gespenstisches Licht wirft, ist ähnlich modelliert.
Möglicherweise inspiriert durch diese Exponate prächtiger
Handwerkskunst, haben weniger begabte Künstler obszöne
Graffiti auf die Außenmauer gekritzelt, die die verschiedenen
Anwendungsmöglichkeiten solcher Phalli aufs anschaulichste
verdeutlichen.
Catull klopfte an die
Tür. Eine kleine Klappe ging auf, und wir wurden von
blutunterlaufenen Augen gemustert, bevor die Tür
aufging.
»Man kennt mich
hier«, sagte Catull. »Und ich kenne den Laden. Der Wein ist
erbärmlich, die Huren sind verlaust und die Gäste
Abschaum. Und ich muß es wissen. Schließlich bin ich
seit meiner Rückkehr jeden Abend hier
gewesen.«
Wir traten in einen
langen schmalen Raum, der hier und da durch aufklappbare
Wandschirme unterteilt war. Er war zum Bersten voll mit
Gästen, die in Gruppen standen oder auf Bänken und
Stühlen um kleine Tische saßen. Die Lampen wurden
offenbar mit einem billigen Öl gespeist, so daß sie
ebensoviel Qualm wie Licht verbreiteten und der Raum von einem
elfenbeinfarbenen Dunst erfüllt war, der meine Augen
tränen ließ. Ich hörte Lachen, Flüche und das
Geklapper von Würfeln, gefolgt von Triumphgejohle oder
enttäuschtem Aufstöhnen. Die Gäste waren fast
ausschließlich Männer, die wenigen Frauen gingen
offensichtlich alle einem bestimmten Gewerbe nach.
Eine von ihnen tauchte
plötzlich aus dem Dunst auf und wickelte sich wie rankender
Wein um Catulls hageren Körper. Ich blinzelte, und das
Weingewächs entpuppte sich als eine üppige Rothaarige mit
einem herzförmigen Gesicht.
»Gaius«,
schnurrte sie. »Eins der Mädchen hat mir erzählt,
daß du zurück bist. Und mit Bart! Laß mich ihn
küssen.«
Catull versteifte sich
und wich mit Leidensmiene zurück. »Nicht heute nacht,
Ipsithilla.«
»Warum nicht? Es
ist ein ganzes Jahr her, seit ich dich zum letzten Mal vernascht
habe. Ich bin ganz ausgehungert.«
Catull brachte ein
Lächeln zustande. »Nicht heute nacht.«
Sie zog sich
zurück und schlug die Augen nieder. »Trauerst du noch
immer deiner Lesbia hinterher?«
Er verzog das Gesicht,
packte meinen Arm und führte mich an einen eben freigewordenen
Tisch. Ein Sklave brachte uns Wein. Catull hatte recht; er war von
erbärmlicher Qualität, vor allem nach dem
honiggesüßten Wein, den Clodius mir angeboten hatte.
Aber Catull trank ohne Zögern.
Um den Nebentisch
hatte sich eine Gruppe
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