Römischer Lorbeer
Zeit mit privaten Gesprächen
verbrachten sie jedenfalls. Hegte Diana irgendeinen Groll gegen
mich, weil ich ihre Mutter auf einem Sklavenmarkt gekauft hatte?
Doch ich war schließlich auch der Mann, der Bethesda befreit
hatte. Auf einmal kam mir alles schrecklich kompliziert
vor.
»Sogar die
meisten römischen Frauen lernen weder Lesen noch Schreiben,
Diana.«
»Ich nehme an,
die Frau, für die du arbeitest, kann lesen.«
»Das kann sie
bestimmt.«
»Und du hast
dafür gesorgt, daß ich Lesen gelernt
habe.«
»Ja, das habe
ich.«
»Aber was
nützt mir diese Fähigkeit, wenn du mir verbietest, sie
anzuwenden?« Sie blickte auf den vor mir liegenden
Brief.
Es war geradezu
unheimlich, wie sie die Strategien ihrer Mutter anwandte, um zu
bekommen, was sie wollte - logisches Herangehen, stures Beharren
und das Wecken von Schuldgefühlen, derer ich mir gar nicht
bewußt gewesen war. Man sagt, die Götter können die
Gestalt eines uns vertrauten Menschen annehmen und sich unbemerkt
unter uns bewegen. Für einen kurzen seltsamen Moment schien
sich ein Schleier zu lüften, und ich spürte, daß
Bethesda selbst mit mir im Zimmer war, verkleidet, um mich zu
täuschen. Wer war schließlich dieses Wesen Diana, und wo
war sie hergekommen?
Ich gab ihr den Brief
und beobachtete, wie sie ihn las. Sie las langsam und bewegte beim
Lesen die Lippen. Sie war nicht so gründlich unterrichtet
worden wie Meto.
Ich erwartete,
daß sie nach der Identität der erwähnten Menschen
fragen oder vielleicht um eine deutlichere Beschreibung der
aufgeführten Leidenschaften bitten würde, doch als sie
den Brief aus der Hand legte, fragte sie: »Warum willst du
den Mörder von Dio so unbedingt finden,
Papa?«
»Wie drücke
ich es in dem Brief aus? ›Für meinen eigenen
Seelenfrieden ‹.«
»Aber warum
sollte deine Seele in Unfrieden leben?«
»Diana, wenn ein
Mensch, der dir nahesteht, verletzt würde, würdest du
diesen Menschen dann nicht rächen und das geschehene Unrecht wieder
gutmachen wollen, wenn du könntest?«
Darüber dachte
sie nach. »Aber Dio stand dir nicht nahe.«
»Das ist eine
anmaßende Feststellung, Diana.«
»Du kanntest ihn
kaum.«
»Das ist in
gewisser Hinsicht richtig. In anderer Hinsicht -«
Sie nahm den Brief
erneut zur Hand. »Meinst du ihn mit dem ›Mann von
rationalem Verstand‹?«
»Ja, wenn du es
genau wissen mußt.«
»War er dann
nicht ein grausamer Mann?«
»Ich weiß
es wirklich nicht.«
»Aber in dem
Brief schreibst du -«
»Ja, ich
weiß, was ich geschrieben habe.« Die Vorstellung, es
sie laut vorlesen zu hören, ließ mich innerlich
zusammenzucken.
»Woher
weißt du so etwas über ihn?« Sie sah mich
eindringlich an.
Ich seufzte.
»Weil mir gewisse Männer, in deren Haus er zu Gast war,
gewisse Dinge erzählt haben. Offenbar hat sich Dio Freiheiten
mit einigen ihrer Sklavinnen herausgenommen. Möglicherweise
hat er sie dabei mißhandelt. Aber ich weiß es wirklich
nicht genau. Über so etwas reden die Menschen nicht
gerne.«
»Als du ihn in
Alexandria kanntest, war er nicht so?«
»Wenn er so war,
wußte ich nichts davon. Ich habe eine ganz andere Seite von
ihm kennengelernt.«
Sie sah mich lange
nachdenklich an. Es war kein Blick, den sie von Bethesda gelernt
hatte, sondern ein wacher, aufmerksamer Blick, sehr eindringlich
und ganz ihr eigener -oder vielleicht hatte sie ihn von mir
abgeschaut, dachte ich, mir selbst schmeichelnd. Wie töricht
und fern mir jener seltsame, verwirrte Augenblick jetzt erschien,
als ich mir vorgestellt hatte, sie wäre ihre verkleidete
Mutter.
Sie stand auf und
nickte ernst. »Danke, daß ich den Brief lesen durfte,
Papa. Und danke, daß du mit mir geredet hast.« Mit
diesen Worten verließ sie das Zimmer.
Ich nahm den Brief und
las ihn erneut. Der Katalog menschlicher Leidenschaften, vor allem,
was ich über Dio geschrieben hatte: Welche grausamen
Gelüste treiben einen Mann von rationalem Verstand dazu, sich
an der Erniedrigung seiner hilflosen Sexualpartner zu delektieren
?
Was hatte ich mir
dabei gedacht, solche Gedanken in einem Brief zu
äußern?
Ich würde das
Ende des Prozesses abwarten und Meto erst schreiben, wenn ich etwas
Substantielles zu berichten hatte. Ich rief einen Sklaven und trug
ihm auf, mir am Küchenfeuer eine Kerze anzuzünden. Als er
zurückkam, legte ich das Pergament auf den Kohlenrost und
verbrannte es zu Asche.
*
Ich verbrachte den Tag
mit Herumschnüffeln.
Wenn Caelius die
Vergiftung von Dio und Clodia geplant hatte,
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