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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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war es
ein Onkel, kein Blutsverwandter, sondern einer der Brüder
meiner Stiefmutter. Genau wie du habe ich es für mich
behalten. Ich war damals fünfzehn, ein wenig älter als
deine Diana. Mein Vater hatte mich gerade mit Vetter Quintus
verlobt, aber da Vater nicht in Rom war, mußte die Hochzeit
warten. Das war mir nur recht. Ich war nicht begierig aufs Heiraten
wie manche Mädchen. Aber wenn ich verheiratet gewesen
wäre, dann wäre vielleicht…« Sie atmete tief
ein und fuhr fort. »Onkel Marcus hatte mich immer auf eine
gewisse Art angesehen, wenn ihr wißt, was ich meine.«
Die anderen Frauen nickten mitfühlend. »Vielleicht war
es die Verlobung, die ihn animiert hat, weil er glaubte, daß
er, wenn Quintus mich erst einmal genommen hätte, nie wieder
die Gelegenheit bekommen würde. Eines Tages erwischte er mich
allein in den horti der Familie.« Wieder atmete sie tief
durch. »Hinterher fragt man sich, wie die Götter so
etwas zulassen können.«
    »Du hast es
deiner Stiefmutter nie erzählt?« fragte
Bethesda.
    »Ich habe sie
damals gehaßt. Nach dem, was Onkel Marcus getan hatte,
haßte ich sie sogar noch mehr. Schließlich war er ihr
Bruder. Ich habe ihr nie vertraut. Ich dachte, sie könnte sich
auf seine Seite schlagen.«
    »Was ist mit
deinen eigenen Brüdern?« fragte Diana.
    »Ihnen
hätte ich es erzählen sollen. Ich habe es Publius
erzählt, aber erst Jahre später, als Onkel Marcus schon
tot war.«
    »Aber deinen
Schwestern hast du es doch bestimmt erzählt«, sagte
Bethesda.
    »Meine
Schwestern standen ihrer Mutter näher als mir. Ich konnte mich
nicht darauf verlassen, daß sie es ihr nicht weitersagen
würden. Nein, der einzige Mensch, dem ich mich anvertraut
habe, war eine alte Sklavin, die schon vor meiner Geburt in
Diensten meines Vaters gewesen war, und ich erzählte auch ihr
es erst, als ich begriff, daß Onkel Marcus ein Kind in mich
gepflanzt hatte. Sie hat mir gezeigt, was zu tun war, aber sie hat
mich gewarnt, daß ich vielleicht nie Söhne gebären
könnte, wenn ich abtreiben
würde.«   
    »Ein
römischer Aberglaube!« Bethesda schnalzte mit der
Zunge.
    »Trotzdem hat er
sich als zutreffend erwiesen. Das war ein weiterer Grund, warum ich
meinem Mann nie gesagt habe, was Onkel Marcus mir angetan hatte und
was daraus folgte; Quintus hätte mir die Schuld dafür
gegeben, daß ich ihm eine Tochter und keinen Sohn geboren
habe. Wahrscheinlich hätte er mir vorgeworfen, Onkel Marcus
provoziert zu haben. So denken die Männer eben. Quintus
wußte, daß er nicht der erste war, aber von Onkel
Marcus hat er nie etwas erfahren. Er starb, ohne es zu
wissen.«
    Ich lauschte irritiert
und war erstaunt darüber, was Clodia als nächstes tat:
Sie beugte sich vor, ergriff Bethesdas Hand (die, die nicht schon
Diana hielt) und drückte sie mit beiden Händen.
»Aber du hast doch gesagt, bei dir wäre es dasselbe
gewesen, Bethesda - du hättest dein Geheimnis ebenfalls
gewahrt.«     
    Bethesda schlug die
Augen nieder. »Wem hätte ich es erzählen sollen?
Ein freies römisches Mädchen hätte sich an die
Justiz oder die Familie wenden können - aber eine
ägyptische Sklavin in Alexandria? Als meine Mutter noch lebte,
hatte der Mann ihr diese Dinge so oft angetan, daß sie mir
erklärte, der Mißbrauch ihres Herren würde sie am
Ende umbringen, und so war es dann auch. Als sie tot war, wandte er
sich mir zu. Ich war viel jünger als du, Clodia, nicht einmal
alt genug, ein Kind zu empfangen. Er hat es nur einmal getan oder
es zumindest versucht. Ich nehme an, er dachte, ich wäre sanft
wie meine Mutter, aber nach den Dingen, die sie mir erzählt
hatte, wußte ich, was mich erwartete und beschloß,
daß ich lieber sterben würde, als ihm zu Willen zu sein.
Er fesselte meine Handgelenke mit einem Strick, wie er es so viele
Male bei ihr getan hatte. Er liebte es, sie an einen Haken an der
Wand zu hängen. Ich selbst hatte sie so hängen sehen,
hatte gesehen, was er ihr antat, und als er versuchte, dasselbe mit
mir zu machen, wurde ich von einer Art Wahnsinn ergriffen, die Art
Wahnsinn, die die Götter Männern und Frauen eingeben, um
ihnen übermenschliche Kräfte zu verleihen. Ich war
gewandter, als er vermutet hatte, und es gelang mir, mich aus
meinen Fesseln zu befreien. Es kam zu einem Kampf. Ich biß
ihn, so fest ich konnte. Er schleuderte mich gegen die Wand,
daß ich glaubte, wie ein Käfer zerquetscht zu werden.
Ich bekam keine Luft, mein Herz hörte auf zu schlagen. Danach
hätte er seinen

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