Römischer Lorbeer
beginnen. Zunächst würden die drei
Ankläger zu Wort kommen, bevor Caelius und seine Anwälte
darauf antworteten. Nach den Reden würden Zeugen beider
Parteien ihre Aussage machen. In Anbetracht der Zahl der Redner und
der Vielzahl der zu erörternden Anklagepunkte würde der
Prozeß bestimmt länger als einen Tag dauern.
Vordergründig
geht es in einem römischen Prozeß um die Feststellung
von Schuld oder Unschuld. Allerdings haben in Rom alle Prozesse bis
zu einem gewissen Grad auch mit Politik zu tun, und in einem
Prozeß wegen politisch motivierter Gewalt war das sowieso der
Fall. Römische Richter sind nicht nur die Bürger, die die
Wahrheit über eine bestimmte Tat zu ergründen suchen, sie
fungieren auch als Komitee des Staates, dessen Aufgabe es ist, ein
sowohl politisches als auch moralisches Urteil zu fällen. Ein
Prozeß behandelt üblicherweise das ganze Leben des
Angeklagten - seinen Ruf, seine familiären Verbindungen, seine
politischen Neigungen, seine sexuellen Vorlieben, Tugenden und
Laster. Das gefällte Urteil bezieht sich also nicht nur auf
die Frage, ob ein Angeklagter eine bestimmte Tat begangen hat,
sondern auch auf seinen Charakter und das Wohl des
Staatskörpers im ganzen. Cicero selbst hatte es bei einem
Prozeß vor seinem Jahr im Exil folgendermaßen auf den
Punkt gebracht: »Wenn sie ihr Urteil fällen, müssen
die Richter das Allgemeinwohl und die Bedürfnisse des Staates
im Auge haben.«
Außerdem
weiß jeder, daß Richter sich mehr von den Reden der
Anwälte als von den anschließenden Zeugenaussagen
beeinflussen lassen. »Argumente zählen mehr als
Zeugen«, wie Cicero es häufig ausdrückte. Die
Schlüsse, die ein guter Redner aus Indizien zieht (nach dem
Motto: »Wenn das der Fall ist, folgt logisch…«),
sind überzeugender als die oft widersprüchlichen Aussagen
eines beliebigen Zeugen, ungeachtet der Tatsache, daß er
unter Eid (oder im Falle von Sklaven unter Folter)
aussagt.
Als erster erhob sich
Atratinus, um sein Plädoyer zu halten. Seine klare junge
Stimme war außerordentlich einnehmend, und sein Vortrag
klang, wenn ihm auch der strahlende Glanz geschliffener Rhetorik
abging, aufrichtig und ehrlich.
Atratinus
beschäftigte sich ausschließlich mit Caelius’
Charakter - seinen bekannten Ausschweifungen, seiner Extravaganz
und den verrufenen Lokalitäten, die er frequentierte. Aus dem
Mund vieler älterer Advokaten hätte Atratinus’
selbstgerechte Empörung künstlich oder falsch geklungen,
doch Atratinus war noch jung und unverdorben genug, um sich
glaubwürdig über Caelius’ Exzesse zu
ereifern.
Er erklärte,
daß Caelius kein vertrauenswürdiger Mensch wäre.
Kein kluger Mann würde ihm den Rücken zukehren, weil er
andernfalls Gefahr liefe, von ihm beleidigt oder verspottet zu
werden, genauso wie er seine eigenen Mentoren hinter deren
Rücken verspottet hätte, die Menschen also, die ihm in
diesem Moment am nächsten standen: Seine notorische
Respektlosigkeit für jene Männer wäre allen,
außer ihnen selbst, schmerzlich bewußt. Nachdem er sich
nun in eine Lage manövriert hatte, aus der er sich selbst
nicht mehr zu befreien wußte, war dieser Opportunist sofort
bereit, alljene Älteren wieder zu benutzen, die er zuvor
verraten hatte, nicht nur seine Mentoren, sondern sogar seinen
eigenen Vater, den er verlassen hatte, um alleine in einer Wohnung
auf dem Palatin zu leben, wo er fern der väterlichen Aufsicht
all seinen Lastern frönen und sich über das bescheidene
Haus auf dem Quirinal lustig machen konnte, dem er entflohen und in
das er nun in seiner Not zurückgekehrt war. Es gab
ehrenvollere Wege, seinem Vater Respekt zu bekunden, betonte
Atratinus und legte lächelnd eine bedeutungsschwere Pause ein,
damit niemand das Beispiel übersehen konnte, das er selbst
gab.
Genausowenig wäre
es für eine Frau klug, Caelius den Rücken zu kehren, fuhr
er fort, denn jener sei zu weit Schlimmerem als zu Hohn und Spott
fähig - wie wir im Zusammenhang mit dem Vorwurf der versuchten
Vergiftung Clodias noch sehen würden, auf den ein
späterer Redner noch genauer eingehen
werde.
Atratinus variierte
die Themen Verlotterung und lasterhafter Lebenswandel, wendete sie,
wie man ein Juwel in der Hand wendet, um zu beobachten, wie das
Licht sich darin bricht. Caelius habe die Frauen römischer
Bürger sexuell belästigt, was später aufzurufende
Zeugen bestätigen würden. Weitere Zeugen würden
Caelius’ gewalttätige Neigungen belegen; wie im Fall
eines
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