Römischer Lorbeer
gaben, die ihnen Passanten in den
Hut warfen. Dies sei nach wie vor die einzig wahre Art, sich ein
Mimenspiel anzusehen, insistierte Bethesda, obwohl Clodia offenbar
einen Mann gefunden hatte, der versiert genug für ein
römisches Publikum war.
Unter donnerndem
Applaus beendete der Schauspieler seine letzte Parodie, und Clodia
trat auf die Bühne.
»Und nun etwas
ganz Besonderes«, sagte sie. »Ein alter Freund ist von
seinen Wanderungen im Orient heimgekehrt
-«
»Wie
Odysseus?« rief jemand. Ich sah mich um und erkannte den
jungen Mann mit der Sturmfrisur.
»Wenn Catull
Odysseus heißt, heißt das, Clodia ist Penelope?«
sagte einer seiner Freunde.
»Hoffentlich
nicht«, entgegnete ein Dritter. »Ihr wißt doch,
was Odysseus mit Penelopes Verehrern gemacht hat -er hat ihre Feier
gestürmt und sie alle getötet!«
»Wie
gesagt«, setzte Clodia erneut an, ihre Stimme über das
Gelächter erhebend, »ist ein alter Freund
zurückgekehrt. Vermutlich weiser, auf jeden Fall älter,
wenn auch nur um ein Jahr, und mit neuen Gedichten, die er mit uns
teilen möchte. Ich meine unseren lieben Freund aus Verona,
Gaius Valerius Catull, dessen Worte uns alle berührt
haben.«
»Und einige von
uns verletzt!« fügte jemand hinzu.
»Bei seinem
Aufenthalt im Osten hat Catull, wie er mir erzählt hat, auch
eine Reise zu den Ruinen des alten Troja unternommen. Er hat die
pinienbedeckten Hänge des Ida-Gebirges erklommen, von denen
aus Jupiter zugesehen hat, wie Griechen und Trojaner sich auf der
Ebene im Tal bekriegten. Er hat den Ort besucht, wo sein geliebter
Bruder begraben liegt, und ein Beerdigungsritual zelebriert. Und
auf dieser Reise hat er auch etwas gesehen, was vor ihm nur wenige
Männer gesehen haben. Er wurde eingeladen, Zeuge der geheimen
Riten im Tempel der Kybele zu werden, bei denen ein Mann zum Galloi
in Diensten der Großen Mutter wird.«
An dieser Stelle hatte
ich weitere zotige Bemerkungen erwartet, doch statt dessen verfiel
das Publikum in gespanntes Schweigen.
»Catull hat mir
erzählt, daß ihn diese Erfahrung zu einem Gedicht zu
Ehren von Attis, dem Begleiter der Kybele, inspiriert hat, dem
Liebhaber, der für sie sein Geschlecht aufgab und seither das
Vorbild aller Galloi ist. Was könnte am Vorabend des Feiertags
der Großen Mutter angemessener sein als die erste
öffentliche Rezitation dieses Gedichtes?«
Sie verließ das
Podium, und Catull nahm ihren Platz ein. Seine Lider wirkten
schwer, sein Blick war glasig, und er schien sich kaum aufrecht
halten zu können, als er die Bühne betrat. Ich hielt den
Atem an und fragte mich, wie er überhaupt vor einem Publikum
auftreten wollte. Er war zu betrunken, zu verbittert, zu unsicher
und zu schwach. Er schien dasselbe zu denken. Lange stand er
einfach nur da, vollkommen reglos, mit hängenden Schultern,
zunächst auf seine Füße starrend, dann auf etwas
über den Köpfen des Publikums. Wollte er sich von der
riesigen Venus hinter uns inspirieren lassen, oder stierte er
einfach ins Leere?
Doch als er
schließlich den Mund öffnete, um zu sprechen, war seine
Stimme mit nichts vergleichbar, was ich je zuvor gehört hatte.
Sie war hell und luftig, gleichzeitig jedoch seltsam kräftig
wie ein glitzerndes Netz, das er über seine Zuhörer
ausgeworfen hatte, wie ein Flüstern in einem
Traum.
Ich habe schon
zahllose Redner auf dem Forum gehört und vielen Schauspielern
auf der Bühne gelauscht. Ihre Stimmen sind ausgebildete
Werkzeuge, um sich so zu äußern, daß es dem
jeweiligen Anlaß angemessen ist; doch bei Catull war es
anders. Die Worte hatten die Kontrolle über ihn; das Gedicht
beherrschte den Dichter und benutzte nicht nur dessen Stimme,
sondern dessen ganzen Körper, modellierte seine Mimik,
gestikulierte mit seinen Händen, ließ seine
Füße auf der Bühne auf und ab eilen, alles im
Dienste der Lyrik. Das Gedicht hätte mit oder ohne Dichter
existiert. Dessen Anwesenheit war reiner Zufall, da er seine Zunge
hatte, derer sich das Gedicht bedienen konnte, um sich an jenem
warmen Frühlingsabend auf dem
Palatin für Clodias Gäste Gehör zu
verschaffen:
Über hohe See
gefahren war Attis auf schnellem Schiff Sobald er den phrygischen
Hain begierig mit eilendem Fuß betreten hatte und den
düstern, von Wäldern umkränzten Stätten der
Göttin genaht war, schnitt er sich dort, aufgestachelt von
besinnungsloser Raserei, geistesverwirrt mit scharfem Stein die
Last der Lenden ab. Kaum hatte sie also wahrgenommen, daß ihr
die Glieder
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