Römischer Lorbeer
Ermordung ihrer Königin
fähig waren.«
»Du eilst der
Geschichte voraus«, wies Dio ihn in belehrendem Ton zurecht.
»Als nächstes verkündete Alexander II. eine
Steuererhöhung, um seine Schulden in Rom zu begleichen. Das
war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.
Neunzehn Tage nach seiner Thronbesteigung wurde der neue König
von einer aufgebrachten Menge aus seinem Palast gezerrt und
buchstäblich in der Luft zerrissen.«
Geschichten wie diese
führten Römer gerne an, um sich ob des relativ gesitteten
Umgangs in unserer Republik über andere zu erheben.
Als junger Mann habe
ich die Politikleidenschaft der Alexandriner geschätzt, obwohl
ich mich nie an ihre Neigung zu plötzlichen, extremen
Gewaltausbrüchen gewöhnen konnte. Ägyptische
Quacksalber verkaufen einen Kräuterumschlag, dessen Name
wörtlich übersetzt »Heilmittel zur Behandlung von
Menschenbissen« bedeutet, und die meisten Haushalte halten
diese Medizin vorrätig - was einiges über die
Alexandriner aussagt.
»Damit kommen
wir zum Ausgangspunkt der momentanen Krise - der ägyptischen
Situation, wie du sie nennst, Gordianus. Nach der kurzen und
rühmlosen Herrschaft ihres Vetters Alexanders II. traten zwei
illegitime Söhne Soters auf den Plan, um ihren Anspruch auf
den Thron geltend zu machen.«
»Mutige
Männer«, warf Trygonion ein.
»Der eine
Bastard hat Zypern übernommen, der andere Ägypten. Und
dort regiert er jetzt seit zwanzig Jahren - ein Beweis dafür,
daß man sich, auch ohne über eine einzige
königliche Tugend zu verfügen, auf dem Thron halten kann.
Auf Griechisch lautet sein voller Name« - Dio atmete ein wie
ein geschulter Redner - »Ptolemaios Theos Philopator
Philadelphos Neos Dionysos.«
»Ptolemaios,
Gott: Geliebter des Vaters und Geliebter des Bruders, der neue
Dionysos«, übersetzte ich.
Dio verzog die Lippen.
»In Alexandria nennen wir ihn schlicht Ptolemaios Auteles -
der Flötenspieler.«
»Den
Flötenspieler!« Trygonion lachte.
»Ja, König
Ptolemaios der Flötenspieler«, bestätigte Dio
grimmig, »nach seiner einzigen bekannten Fertigkeit, dem
Flötenspiel, dem er Tag und Nacht, ob nüchtern oder
volltrunken, frönt. Er läßt im königlichen
Palast Sänger auftreten, die er selbst auf der Flöte
begleitet, und gibt bei diplomatischen Banketten eigene
Kompositionen zum besten. Er organisiert Wettbewerbe, um sein
Talent mit dem gewöhnlicher Musiker zu messen. Womit hat
Ägypten bloß einen solchen Herrscher verdient? Er
personifiziert die niederen Charaktereigenschaften seines
heruntergekommenen Geschlechts - er ist träge, zügellos,
dekadent, ausschweifend, faul…«
»Er wäre
besser ein Galloi geworden als ein König«, meinte
Trygonion kichernd.
Dio warf ihm einen
Blick von der Seite zu. »Da muß ich dir ausnahmsweise
einmal recht geben.«
»Ich erinnere
mich an etwas, was Cicero einmal über ihn gesagt hat«,
bemerkte ich. »Fast jeder ist der Meinung, daß der
Mann, der den Thron Ägyptens innehält, weder von Geburt
noch dem Geist nach ein König ist. Und es gibt Menschen, die
meinen, daß die Regentschaft des Flötenspielers von
Anfang an illegitim gewesen ist - wegen eines Testaments, das sein
glückloser Vorgänger aufgesetzt
hat…«
»Ah, damit
sprichst du den Kern der Sache an«, sagte Dio. »Kurz
nach der Ermordung Alexanders II. durch den wütenden
Pöbel begann ein Gerücht die Runde zu machen, nach dem
Alexander II. ein Testament hinterlassen hatte, in dem er ganz
Ägypten dem Senat und dem Volk von Rom
vermachte.«
Trygonion zog die
Brauen hoch. »Ein prächtiger Hauptgewinn! Die
Getreidekammern! Der Staatsschatz! Die Krokodile! Aber diese
Legende hat doch bestimmt kein vernünftiger Mensch geglaubt.
Solche Großzügigkeit wäre zu
grotesk.«
Dio seufzte
verzweifelt. »Du demonstrierst deine Unwissenheit nicht nur
in Politik, sondern auch in Geschichte, Galloi. So grotesk die Idee
erscheinen mag - sie ist nicht ohne Präzedenzfälle. Vor
siebzig Jahren hat Attalos von Pergamon Rom sein Königreich
vermacht; es wurde Provinz des Imperiums und versorgt die Menschen
dieser Stadt mit suventioniertem Getreide. Vor vierzig Jahren
hinterließ Apion Rom Kyrene; Apion war ein Ptolemäer und
Kyrene einst ein Teil Ägyptens. Und vor nicht einmal zwanzig
Jahren hat der letzte König von Bithynien sein Reich ebenfalls
Rom vermacht.«
»Aber warum
sollte ein König so etwas tun?« fragte
Trygonion.
»Um seinem Land
das Blutvergießen eines Nachfolgestreits zu ersparen;
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