Römischer Lorbeer
Ägyptens die Füße Roms
küssen zu lassen. »Vielleicht bist du momentan an der
Macht«, sagen sie, ›aber ohne unsere Zustimmung ist
deine Herrschaft nicht rechtmäßig, und du kannst nie
mehr sein als unsere Marionette.« Dazu wedeln sie mit einem
Fetzen Pergament und nennen ihn ein Testament. König
Ptolemaios war ein Narr, sich auf diese Lüge einzulassen.
Fürwahr, ein »Freund und Verbündeter«! Die
Inschrift der Gedenktafel auf dem Kapitol sollte lauten:
»Flötenspieler und Marionette des römischen
Volkes«.«
»Aber jetzt habt
ihr die Marionette ersetzt«, sagte ich.
»Der
Flötenspieler wird von der Bühne gebuht!« kreischte
Trygonion.
Dio biß die
Zähne zusammen. »Die Krise um den ägyptischen Thron
mag für dich Anlaß zur Belustigung sein, Galloi, aber
ich kann dir versichern, daß das ägyptische Volk sie
überhaupt nicht komisch findet. Römische Diplomaten und
Händler trauen sich dieser Tage in Alexandria kaum vor die
Tür - aus Angst, von einem wütenden Pöbel
massakriert zu werden. Aufrührer halten Reden wider die
römische Gier, und selbst meine Kollegen vernachlässigen
die Lehre der Philosophie, um sich an erhitzten Debatten über
die römische Bedrohung zu beteiligen. Deswegen bin ich als
Anführer einer hundertköpfigen Delegation Alexandriner
nach Rom gekommen, um dem römischen Senat die Forderung zu
übermitteln, daß er sich aus den inneren Angelegenheiten
Ägyptens heraushalten soll, und ihn zu bitten, Königin
Berenice offiziell anzuerkennen.«
»Ich erkenne da
einen Widerspruch, Meister«, sagte ich leise. »Den
römischen Senat um die Anerkennung eurer neuen Monarchin zu
bitten, impliziert doch schon, daß der Senat ein Recht hat,
sich in eure Angelegenheiten einzumischen.«
Dio räusperte
sich. »In der Philosophie streben wir nach Idealen. In der
Politik hingegen streben wir, wie ich zu meiner bitteren Erkenntnis
lernen mußte, nach dem, was sich mit den äußeren
Umständen in Einklang bringen läßt. So kam ich als
Kopf der Delegation nach Rom. Wir dachten, daß so viele
wichtige Stimmen nicht einfach überhört werden
könnten, nicht einmal von euren hochmütigen Senatoren.
Und an diesem Punkt wird aus dieser erbärmlichen Farce eine
echte Tragödie!«
Er schlug die
Hände vors Gesicht und fing plötzlich an zu weinen, so
bitterlich, daß selbst Trygonion verblüfft war. Der
kleine Galloi schien in der Tat tief berührt von den
Tränen des alten Philosophen; er biß sich
mitfühlend auf die Lippe, zerrte an seinen gefärbten
Haarsträhnen und rieb sich bestürzt die Hände. Ich
habe einmal gehört, daß Galloi, vom Kreislauf irdischer
Lust abgeschnitten, zu plötzlichen, extremen und
unerklärlichen Gefühlsausbrüchen neigen.
Es dauerte einen
Moment, bis Dio sich wieder gefaßt hatte. Die Tatsache,
daß ein Philosoph seines Ranges seinen Gefühlen, wenn
auch nur für einen kurzen Moment, in einem derartigen Ausbruch
freien Lauf ließ, war Zeugnis seiner abgrundtiefen
Verzweiflung.
»So hat es sich
zugetragen: In Neapolis gingen wir an Land. Dort hatte ich Freunde,
Mitglieder der Akademie, die uns Unterkunft angeboten hatten. In
jener Nacht kamen mit Knüppeln und Messern bewaffnete
Männer in die Häuser gestürmt, in denen wir
schliefen. Sie stürzten Möbel um, setzten Vorhänge
in Brand und zertrümmerten Statuen von unschätzbarem
Wert. Wir wurden aus dem Schlaf gerissen und waren in unserer
Benommenheit kaum in der Lage, sie abzuwehren. Knochen wurden
gebrochen und Blut vergossen, auch wenn niemand getötet wurde
und die Angreifer fliehen konnten. Der Überfall versetzte
einige Mitglieder unserer Delegation in solchen Schrecken,
daß sie direkt am nächsten Tag die Segel wieder Richtung
Alexandria setzten.«
Dio schob erbost den
Kiefer vor. »Die Angriffe waren gut organisiert und im voraus
geplant. Kann ich beweisen, daß König Ptolemaios ihr Komplize
war? Nein. Aber man muß die Sonne nicht selbst sehen, um
anhand der Schatten, die Objekte werfen, zu schließen,
daß sie am Himmel steht. Der mitternächtliche Angriff in
Neapolis war von König Ptolemaios inszeniert, dessen kannst du
gewiß sein. Er wußte, daß wir gekommen waren, ihm
sein Thronrecht streitig zu machen. Seine Agenten haben uns
erwartet.
Danach begaben wir uns
in ein sichereres Quartier in Puteoli, um unsere Strategie für
die Verhandlungen mit dem Senat festzulegen. Wir blieben dicht
zusammen und stellten nachts Wachen auf, doch begingen wir den
Irrtum zu glauben, daß wir bei
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