Römischer Lorbeer
zunächst selbst fragen, ob ich
sie streng und hart nach alter Art behandeln soll, oder ob sie es
lieber gelinde, sanft und höflich haben will. Soll es nach den
alten rauhen Sitten von einst gehen, dann muß ich jemanden
aus der Unterwelt heraufbeschwören, einen mit einem solchen
Bartgestrüpp, wie wir es bei den alten Statuen und
Ahnenbildern sehen. Warum nicht jemanden aus ihrer eigenen Familie?
Appius Claudius, der Blinde, wäre geeignet; ihm wird es am
wenigsten weh tun, denn er sieht sie ja nicht.«
Erneut erhob sich
Gelächter, gefolgt von erwartungsvollem Murmeln, als Cicero
mit zusammengekniffenen Augen, erhobenen Armen und todernster Miene
in die Rolle von Clodias Ahnherr schlüpfte. »Frau, was
hast du zu schaffen mit diesem Caelius, der so viel jünger ist
als du? Warum warst du so innig befreundet mit ihm, daß du
ihm Gold geliehen hast, und dann wieder so verfeindet, daß du
Gift fürchten mußtest? Hast du keinen Stolz und keinen
Anstand? Hast du nicht deinen Vater gesehen, hast du nicht von
deinem Onkel, Großvater, Urgroßvater, von dessen Vater
und Großvater gehört: Alle waren sie Konsuln. Und
weißt du nicht mehr, daß du bis vor kurzem noch mit
Quintus Metellus Celer vermählt warst, mit einem
hochangesehenen, tüchtigen Mann, der, als er noch lebte, nur
einen Schritt über die Schwelle seines Hauses zu tun brauchte,
um alle seine Mitbürger an Tugend zu übertreffen? Aus
einem alteingesessenen Geschlecht stammend, hast du in eine
hochberühmte Familie eingeheiratet - warum warst du dann so
eng verbunden mit diesem Caelius? War er mit dir verwandt,
verschwägert, ein Freund deines Mannes? Nichts von alledem.
Was war es also anderes als Leichtsinn und
Leidenschaft?«
Noch immer in der
Rolle des blinden Claudius schüttelte Cicero den Kopf.
»Wenn dich schon die Ahnenbilder der Männer unserer
Familie nicht beeindruckten, konnte dich da wenigstens mein
weiblicher Sproß, die berühmte Quinta Clodia, die ihre
Keuschheit bewies, als sie das Schiff vor dem Untergang bewahrte,
das die Große Mutter nach Rom brachte, deren Feiertag wir
heute begehen, dazu ermuntern, dem Ruhm der Frauen unseres Hauses
nachzueifern? Oder die berühmte Vestalin Claudia, die ihren
Vater mit ihrem eigenen keuschen Leib vor dem wütenden
Pöbel schützte? Warum ließest du dich eher von den
Lastern deines Bruders als von den Tugenden deines Vaters und
deiner Vorväter beeindrucken? Habe ich deswegen den
Friedensschluß mit Pyrrhus verhindert, damit du Tag für
Tag die schimpflichsten Liebesbündnisse abschließt, habe
ich Rom deshalb mit Wasser versorgt, damit du dich nach deinen
inzestuösen Kopulationen waschen kannst, habe ich deswegen
unsere berühmte Straße gebaut, damit du in Begleitung
fremder Männer dort einherschwärmst?«
Ciceros harscher Ton
ließ jetzt kein Lachen aufkommen. Er senkte die Arme und sah
Clodia direkt an, die seinem Blick mit purem Haß begegnete.
»Ich lasse die Rolle fallen und rede jetzt selbst mit dir.
Wenn du tatsächlich in den Zeugenstand treten willst, dann
mußt du Rechenschaft ablegen und erklären, was es mit
dieser großen Vertraulichkeit auf sich hat. Die Ankläger
reden ja ständig von Liebesabenteuern, Ehebruch, Aufenthalten
in Baiae, von Strandfesten, Gastmählern, feuchtfröhlichen
Umzügen, von Gesang, Musik und Wasserpartien. Und sie geben zu
erkennen, daß sie es nicht ohne deine Einwilligung
Vorbringen. Hast du geglaubt, Caelius seine Ausschweifungen
vorwerfen zu können, ohne daß das Gericht auch deine
Ausschweifungen einer Prüfung unterziehen würde? Welch
aberwitzige Vorstellung. Ich lese in deinem Gesicht, daß du
dieses mißliche Spektakel gern vermeiden würdest. Doch
dafür ist es nun zu spät!«
Cicero und Clodia
starrten sich vor den Augen der Zuschauer einen Moment lang
schweigend an. Dann trat er zurück, seine Haltung entspannte
sich, und er lächelte süßlich. »Aber ich
sehe, die strenge Standpauke liegt dir nicht. Ich lasse den fast
bäuerlich groben alten Herrn abtreten und zitiere einen aus
deiner Generation hierher, am liebsten deinen geliebten kleinen
Bruder, der in dieser Hinsicht der geborene Weltmann ist. Seit
euren Kindertagen liebt er dich über alles und ist gewohnt -
ich weiß nicht genau, warum, sicher weil er so ängstlich
ist und sich nachts vor Gespenstern fürchtet -, mit dir zu
schlafen: der kleine Junge mit seiner großen Schwester.
Schade, daß er für die Feierlichkeiten zuständig
ist und heute nicht an deiner Seite sein
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