Roemisches Roulette
besser”, sprach sie weiter. “Immerhin hat sie so viel Geld verdient.” Sie blätterte einige Seiten um und zeigte auf die oberen Zeilen eines Blattes. “Hier zum Beispiel.”
Ich hockte mich neben ihren Sessel. Vor mir sah ich einen typischen monatlichen Kontoauszug von vor gut anderthalb Jahren, der Eingänge und Abbuchungen auflistete. Der Geldeingang, auf den Mrs. Kernaghan zeigte, betrug fünfzigtausend Dollar.
“Und hier”, fügte sie hinzu. Sie blätterte noch eine Seite weiter und zeigte auf einen Eingang in Höhe von zwanzigtausend, dann auf einen weiteren von dreißigtausend Dollar.
“Kann ich mal kurz sehen?”, bat ich.
Sie gab mir die Papiere.
Ich stand auf und sah mir die drei Geldeingänge genauer an. Dann blätterte ich zum Auszug des nächsten sowie des vorigen Monats. Dieselben Beträge. Nun las ich das Kleingedruckte – alle Überweisungsaufträge kamen von einem Konto bei der ‘Lincoln Park Savings & Loan’-Bank.
Sie hatte einen Mann getroffen. Er war Arzt, genauso wie dein Nick.
Für wenige Sekunden drehte sich alles, als würde meine Welt aus den Angeln gehoben. Dann sah ich wieder klar.
Ich blinzelte und suchte die drei Kontoauszüge nach den Überweisungsdaten ab: Mai, Juni und Juli des vorvergangenen Jahres. Unmittelbar nach Nicks Affäre in Napa.
22. KAPITEL
L incoln Park Savings & Loan. Lincoln Park Savings & Loan.
Unentwegt sah ich den Namen der Bank auf Kits Kontoauszügen vor mir.
Auf dem Heimweg von Mrs. Kernaghan musste ich mich immerzu ermahnen, auf den Verkehr zu achten. Ich versuchte mir einzureden, dass die Bank neben Nick und mir auch noch andere Kunden hatte. Aber es war eine kleine Gemeindebank, und wer sonst aus Chicago sollte Kit solche großen Geldbeträge überweisen? Und vor allem: warum?
War Kit die Göttin, die mit meinem Ehemann geschlafen hatte?
Kit?
Hatte Nick mich mit dem Menschen betrogen, den ich als meine beste Freundin angesehen hatte? Das war unmöglich. Oder? Vielleicht war ich ja immer noch naiv, trotz allem, was geschehen war. Oder hatten mich Kits Tod und die Stunden in Gewahrsam zu einer paranoiden und realitätsfremden Furie gemacht? War ich angeschlagener, als ich dachte?
Mir kam wieder ins Gedächtnis, wie Kit mich höhnisch
Goldkind
genannt hatte. Sie glaubte, ich hätte alles und sie nichts. War es möglich, dass sie mit Nick geschlafen hatte, um mir wenigstens einen Teil davon zu nehmen? Um sich
ihn
zu krallen? Hatte sie auch ihn erpresst? Ich musste sauer aufstoßen. In mir stieg eine Übelkeit hoch, die mehr war als nur das Unwohlsein einer Schwangeren.
Das Geplärre einer Hupe erschreckte mich. Ich blinzelte und sah, wie mich ein LKW-Fahrer anschrie und wütend die Faust gegen mich erhob. Ich war auf seine Spur geraten.
Konzentrier dich, sagte ich zu mir selbst. Konzentrier dich. Allein um des Babys willen musste ich auf mich aufpassen. Ich blinzelte wieder und wieder und zwang mich, auf die Straße zu sehen. Vergeblich versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen. Warte erst mal ab, beruhigte ich mich. Vielleicht irrst du dich ja. Vielleicht ziehst du wieder voreilige Schlüsse. Finde Nick und finde es heraus.
Ich passierte die Innenstadt und parkte in unserer Garage.
Die Wohnung war leer. Von der Küche aus rief ich auf Nicks Handy an. Nach schier endlosem Klingeln ging die Mailbox dran. Er steckte also nicht in einer Notfall-OP, denn dann hätte er das Telefon vorher ausgeschaltet, und die Praxis war übers Wochenende geschlossen. Ich versuchte es aufs Neue. Wieder die Mailbox.
In meinem Kopf schrie eine Stimme. Ein alarmierender Schrei. Ich war kurz davor einzustimmen, hatte den Mund sogar schon geöffnet. Doch wieder dachte ich an das Baby, den Stress. Also atmete ich tief durch und schluckte meine Panik runter. Im nächsten Moment war ich froh, Nick nicht erreicht zu haben, denn plötzlich wusste ich, wie ich an meine Informationen käme.
Ich eilte den Flur entlang zu Nicks Arbeitszimmer. Der Raum trug eindeutig Nicks Handschrift – ein aufgeräumter, L-förmiger Schreibtisch aus Ahornholz mit verchromten Lampen an beiden Enden. In diesem Schreibtisch bewahrte Nick all unsere Rechnungen und Bankauszüge auf. Ich öffnete die linke, untere Schublade, und da waren sie – alle pedantisch geordnet und abgeheftet. Ich schlug die alten Telefonrechnungen um, ohne genau hinzusehen. Ich glaubte, selbst der Anblick unserer alten Adresse brächte mich dazu, in die Schreie einzustimmen, die noch immer in meinem Kopf tobten.
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