Roemisches Roulette
Vergangenheit dieses Burschen berichtet habe.”
“Und was bedeutet das alles?”, wollte ich wissen.
“Dieser Beckman war der Dreh- und Angelpunkt der Staatsanwaltschaft. Er war derjenige, der behauptetet hat, Nick hätte Kit geschubst. Ohne ihn bricht das ganze Konstrukt in sich zusammen. Morgen früh werde ich zuallererst einen Antrag auf beschleunigtes Verfahren stellen, den ich damit begründe, dass die Beweise der Staatsanwaltschaft unzureichend sind. Ich rechne nicht damit, dass sie dagegen angehen werden. Offen gestanden wäre ich sogar kein bisschen überrascht, wenn sie die Anklage aufgrund meines Antrags fallen ließen. Ohne Beckman gibt es keinen Fall, und das weiß die Gegenseite ganz genau.”
“Sharon”, setzte ich an, “Sie meinen also, dass es …” Meine Stimme brach. Ich konnte es nicht aussprechen.
“Ich glaube, es könnte vorbei sein, ja”, beendete Sharon meinen Satz. “Die Chancen stehen gut, dass ich Sie beide da rausholen kann.”
Nick und ich starrten einander mit offenen Mündern an. Keiner von uns brachte einen Ton heraus.
“He, sind Sie noch dran?”, hörte ich Sharons Stimme.
“Ja”, antwortete Nick. “Ich glaube, wir stehen beide unter Schock.”
“Tja, dann trinken Sie sich doch erst mal einen oder so.”
Wir dankten ihr, und Nick legte den Hörer auf.
Dann setzten wir uns und sahen uns stumm an. Während dieser Augenblicke erwachte unser Appartement zum ersten Mal seit Kits Tod zum Leben. Die Wolken vor dem Fenster lockerten auf, und Sonnenlicht durchflutete unser Wohnzimmer. Die Luft fühlte sich leichter an, als wäre sie mit Hoffnung angereichert.
“Glaubst du, dass es wirklich vorbei ist?”, fragte ich. “Ich kann es noch gar nicht fassen.”
“Ich schon.” Er zog mich an sich und hielt mich fest. “Endlich wird das Richtige geschehen.”
In der folgenden Nacht schlief ich volle zwölf Stunden.
Eilmeldung – Mordanklage gegen High-Society-Paar fallen gelassen!
Chicago, IL – Die Staatsanwaltschaft hat die Mordanklage gegen Dr. Nicholas Blakely und Rachel Blakely mit der Begründung fallen gelassen, dass sich der Hauptzeuge als unseriöse Informationsquelle entpuppt habe.
Dr. Blakely, 36, und seine Frau, 35, waren vergangenen Monat beschuldigt worden, ihre Freundin Katherine Kernaghan getötet zu haben. Sie wurden verdächtigt, die 35-Jährige vom Balkon ihres im Lake Shore Drives gelegenen Appartements gestoßen zu haben.
Detective John Bacco entschuldigte sich bei den Blakelys für “diese schwierige Zeit”. Strafverteidigerin Sharon Pate erklärte, ihre Mandanten seien außer sich vor Freude.
Obwohl Samstag war, musste Nick arbeiten. Als er mich aus der Praxis anrief, klang er beinahe euphorisch. “Hast du es schon gehört?”
“Ja, Sharon hat mich gerade angerufen.”
“Das müssen wir feiern. Lass uns heute Abend zu Trotters gehen.”
Ich runzelte die Stirn. “Mann o Mann! Bist du sicher, dass wir uns Trotters nach Sharons Honorar noch leisten können?”
Er lachte. “Ich bin davon überzeugt, dass wir es verdient haben. Bleib dran, ich mache die Reservierung übers Handy.” Kurze Zeit später war Nick wieder am Apparat. “Wir können um neun vorbeikommen.”
“Ist mir recht.” Ich hatte das Gefühl, ich würde mich nie wieder über eine späte Tischreservierung aufregen, oder darüber, kein Taxi zu bekommen, oder über irgendwelche anderen unbedeutenden Ärgernisse, die das Großstadtleben so mit sich brachte. Jetzt war ich für diese Scherereien dankbar. Sie waren ein Zeichen für Freiheit.
Doch nun, wo der Fall geschlossen war, wollte ich unbedingt noch jemanden besuchen. Kits Mom.
Ich rief sie an, und schon eine Stunde später drückte ich auf den Klingelknopf ihrer Wohnung. Als der Summton erklang, öffnete ich die Haustür und betrat das spärlich beleuchtete Treppenhaus, in dem brauner Teppichboden lag. Mir wurde klar, dass ich noch nie zuvor dort gewesen war. Nach dem Tod ihres Ehemannes war Mrs. Kernaghan von dem gemütlichen Haus aus dem 18. Jahrhundert, das der Familie gehört hatte, in verschiedene Wohnungen gezogen, die von Mal zu Mal immer kleiner und schäbiger geworden waren. Nach dem Treppenhaus zu urteilen, war dies die schlimmste von allen.
Vor der Tür zu Appartement 303 holte ich tief Luft und klopfte. Während ich wartete, musterte ich den blauen Kranz an der Tür. Er war aus künstlichen Blumen gemacht und trug eine dünne Staubschicht. Mrs. Kernaghan brauchte fast zwei Minuten, um die
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