Roemisches Roulette
Kernaghan saß dort mit schmerzerfülltem Blick, und ich konnte ihr Leiden unmöglich noch vergrößern.
So ging ich den dunklen Flur entlang. An Kits Zimmertür schaltete ich das Licht ein. Vor mir lag das Zimmer einer jungen Frau, das vermutlich schon vor vielen Jahren eingerichtet worden war. Ein violetter Samtüberwurf lag auf dem Bett, und die Wände waren dunkelviolett gestrichen.
Auf der Samtdecke lag Robertos Gemälde. Daneben Stapel von Büchern und Kleidern, wahrscheinlich Dinge, die Mrs. Kernaghan weggeben wollte. Ich ging zum Bett und hob zögernd das Bild hoch. Es zeigte eine Frau, in der ich mich einst wiedererkannt zu haben glaubte. In der rechten unteren Ecke stand Robertos Signatur.
Jetzt, wo die Erinnerungen an jene Nacht kein Geheimnis mehr waren, brauchte ich sie nicht länger aus meinem Kopf zu verbannen, und so ließ ich sie für einen kurzen Moment zu.
Dann klemmte ich mir das Bild unter den Arm und sah mich im Zimmer um. An eine Korkpinnwand war ein Foto geheftet, das mir bekannt vorkam. Langsam ging ich darauf zu.
Das Bild zeigte Nick, Kit und mich. Es war bei unserer Hochzeitsfeier aufgenommen worden. Nick stand zwischen Kit und mir. Mit dem schwarzen Anzug und der cremefarbenen Fliege sah er zum Anbeißen aus. Er umarmte uns beide – Kit in ihrem Brautjungfernkleid auf der linken und mich in meinem elfenbeinfarbenen Brautkleid aus Chiffon auf der rechten Seite. Als ich näher hinsah, erkannte ich einen Riss in dem Foto. Ich inspizierte es genauer und stellte fest, dass es ein gerader Schnitt war. Er reichte vom oberen bis zum unteren Rand des Bildes und trennte mich von Nick. Anscheinend hatte Kit mich von dem Foto abgeschnitten, so dass nur sie und Nick übrig blieben, sich dann jedoch eines besseren besonnen.
Wie vom Donner gerührt trat ich ein Stückchen zurück. Dann vernahm ich die brüchige Stimme von Mrs. Kernaghan, die meinen Namen rief.
Nur allzu gerne verließ ich das Zimmer und setzte mich wieder zu ihr. “Danke für das Bild”, sagte ich.
“Das ist doch selbstverständlich. Die andere Sache, die ich dir geben möchte, ist das Geld, das du … tja, das du Kit gegeben hast. Es wäre nicht richtig von mir, es zu behalten.”
“Seien Sie nicht albern, Mrs. Kernaghan. Ich wollte Ihnen helfen. Und das möchte ich immer noch. Ich weiß, dass die Behandlung sehr teuer ist.”
“Aber jetzt kann ich sie mir leisten.”
“Wie schön! Dann übernimmt Ihre Versicherung die Kosten jetzt also doch?”
Sie schüttelte den Kopf und drehte sich um. Langsam und bedächtig hob sie einen Papierstoß vom Boden auf. “Vor kurzem habe ich das hier bekommen. Es sind Unterlagen von einem Konto, das Kit in Los Angeles geführt hat. Es war immer noch geöffnet, aber sie hat nie Kontoauszüge erhalten. Wahrscheinlich, weil sie das Konto seit über einem Jahr nicht mehr angerührt hat. Das Geld, das noch drauf ist, geht nun an mich. Sie muss es vergessen haben.”
Ich runzelte die Stirn. Kit und Geld vergessen? Das bezweifelte ich.
“Das ist ja großartig”, freute ich mich. “Reicht es denn für eine Weile?”
Sie nickte. “Oh ja. Ich verstehe nur nicht, wie Kit an so viel Geld gekommen ist.”
Mein sofortiger Gedanke war:
Sie hat noch jemanden erpresst.
“Ich bin die Unterlagen durchgegangen”, fuhr Mrs. Kernaghan fort, “aber sie ergeben für mich keinen Sinn. Hier und da verschiedene Einzahlungen oder Überweisungen. Vielleicht war das Geld ja von den Jobs, die sie immer hatte. Als Schauspielerin, meine ich.”
“Vielleicht.”
“Sie ist doch für so einen großen Werbefilm in Napa Valley gebucht worden.”
“Ach ja?”, fragte ich, allerdings ohne großes Interesse. Mrs. Kernaghan ging es gut. Ich war erleichtert. Mission erfüllt.
“Für einen Autohersteller, glaube ich”, erzählte Mrs. Kernaghan. “Sie war mindestens eine Woche dort.” Ein zärtliches Lächeln lag auf ihren Lippen. “Kit war danach eine Zeitlang so glücklich. Sie hatte einen Mann getroffen und dachte, jetzt würde sich für sie alles zum Guten wenden. Er war Arzt, genauso wie dein Nick.”
Eine dunkle Vorahnung legte sich wie ein Schatten über den Raum. “Ich erinnere mich gar nicht, dass Kit in Napa war.”
“Doch, im Frühjahr. Das ist nun schon fast zwei Jahre her.”
Meine Kehle wurde trocken, und ich schluckte schwer. Ich wünschte, ich hätte Mrs. Kernaghans Begrüßungsangebot angenommen und ein Glas Wasser vor mir stehen.
“Aber vielleicht ging es ihr ja wirklich
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