Roemisches Roulette
von dem Kunstwerk – gelbe Kleckse auf einer großen braunen Leinwand – und Nick beobachtete mich nicht mit einem versteckten Lächeln. Stattdessen sonnte er sich in der Aufmerksamkeit einer Handvoll Gönner. Er strahlte sie an und war wie verzaubert von seinem – oder sollte ich sagen
unserem?
– neuen Status als lokale Berühmtheiten.
Während der vergangenen Woche ging es uns erbärmlich. Meine Stimmung wechselte übergangslos von rasender Wut zu lähmender Depression. Als Valerie Renworth anrief, um uns an eine Vernissage zu erinnern, zu der schwarzer Smoking und Abendkleid erwünscht waren – und sich dabei verhielt, als hätte sie derlei Anrufe auch regelmäßig getätigt, bevor wir vom Mordverdacht reingewaschen worden waren –, sagte ich Nick, ich begleite ihn nur, weil ich nicht tatenlos zu Hause herumsitzen, die halbfertig gestrichene Wand anstarren und mir den Kopf über unsere Zukunft zerbrechen wolle.
Es war unser erster Auftritt in der Öffentlichkeit, nachdem man die Mordanklage gegen uns fallen gelassen hatte. Angst brauchten wir davor nicht zu haben, denn nun, da wir von jeglichen Schuldvorwürfen befreit waren, lag auch der Pfad in den gesellschaftlichen Olymp Chicagos geebnet vor uns. Unsere Namen standen in der Zeitung und tauchten in so vielen Klatschspalten auf, dass jeder glaubte uns zu kennen. Und denjenigen, die wir bereits vor Kits Tod kennen gelernt hatten, gefiel es, mit Berühmtheiten gesehen zu werden – und sei es nur für die nächsten fünfzehn Minuten.
Ich wandte mich langsam von dem Gemälde ab und beobachtete Nick, wie er seine Runden drehte. Wie der Politiker, der er nicht geworden war, schüttelte er Hände; er küsste die gepuderten Wangen klapperdürrer Frauen, die in schillernde Kleider gehüllt und mit glitzerndem Schmuck behängt waren. Auf seinem Gesicht lagen Erleichterung und noch etwas anderes: Triumph.
Ich aber konnte den Grund für unseren kurzen Ruhm nicht vergessen – der Tod von Kit Kernaghan, die einst meine Freundin gewesen war, die mit meinem Ehemann geschlafen hatte, die von meinem Ehemann getötet worden war. Keiner dieser Menschen ahnte davon etwas.
Oder vielleicht doch. Vielleicht hatten manche ihre Zweifel. Aber selbst wenn es so war, wussten sie, dass die Blakelys keine Serienmörder waren. Sie wussten, dass sie selbst nicht in Gefahr schwebten. Es war eben viel interessanter, uns zu feiern und zu kennen, als uns zu meiden.
Ich trug ein rotbraunes Abendkleid, das mich an Kits Haare erinnerte. Es war trägerlos, und für Halt sorgte allein das geschnürte Mieder, das gegen meinen dicker werdenden Bauch drückte. Auf einmal fühlte es sich so an, als zöge es sich langsam immer weiter zusammen, enger und enger um meinen Brustkorb, sodass ich kaum noch tief Luft holen konnte. Mein Make-up fühlte sich schwer an; eine Maske, von der ich nicht wusste, ob ich sie jemals wieder abnehmen würde.
Ich sah, wie Nick in einen Pulk von Männern gezogen wurde, die alle dasselbe geschmackvolle Smokingmodell trugen. Sie klopften ihm auf den Rücken; sie lachten laut.
Ich versuchte, meinen Cidre zu trinken, doch die Öffnung des Champagnerglases erschien mir ungewöhnlich klein, und ich war gezwungen, mich in meinem zu engen Kleid leicht nach hinten zu lehnen, um einen Schluck zu nehmen. Der Raum schien ebenfalls kleiner zu werden. Ich sah eine Frau in einem blauen Kleid, die sich bei einem großen, grauhaarigen Mann untergehakt hatte. Von der anderen Seite der Galerie kamen sie auf mich zu, die Frau winkte, auf ihrem Gesicht lag ein glückliches Lächeln. Ich kannte sie nicht, und dennoch konnte ich bereits hören, wie die Frau ihren Freunden erzählte:
Ich habe gestern Abend dieses Ehepaar getroffen. Die beiden, die diese Schauspielerin umgebracht haben sollen. Ihr wisst schon, die Sache mit dem Balkon.
Ich drehte mich um und nahm einen weitern Schluck Cidre. Als meine Lippen das Glas berührten, hatte ich plötzlich eine Vision; eine lebhafte Vision davon, wie Nicks und mein Leben von nun an weitergehen würde: die endlosen Partys, die neugierigen Blicke der Partygäste, das süffisante Einander-Vorstellen, die stillen, schmerzvollen Nächte in unserer Wohnung. Nick und ich in dem finsteren Wissen um das, was wirklich geschehen war, aber ohne die Möglichkeit, uns irgendjemandem außerhalb unserer winzigen Zweiergemeinschaft anzuvertrauen. Nick und ich waren durch unser furchtbares Geheimnis miteinander verbunden. Wir waren wie Verschwörer, Hüter
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