Roemisches Roulette
Flattern huschte durch meinen Bauch. “Ich kenne deinen Namen gar nicht”, sprach er weiter.
“Rachel.”
“Und ich bin Roberto.”
Die Sänger wechselten in ein langsames, melancholisches Lied. Gitarren-Akkorde schwebten zu uns herüber, bis sie uns einhüllten. So als würde ihr Lied nur für gespielt.
“
Rachele, Roberto”
, meinte er und deutet dabei auf mich und sich selbst. “Das ist kein Zufall, sondern Schicksal.”
Ich umfasste seine Hand fester.
Etwa eine Stunde lang saßen Roberto und ich auf den Stufen und sprachen leise über Rom, über Kunst. Als die Sänger von der
polizia
davongejagt wurden, stand er auf und nahm mich wieder bei der Hand. Er führte mich fort von der Treppe und durch die Kopfsteinpflastergassen.
Sein Appartement lag nur wenige Straßen von der Via Sistina entfernt, und diese kurze Entfernung verhinderte auch, dass sich bei mir ein Gefühl von Unbehagen entwickeln konnte. Der Boden seiner Wohnung bestand aus Kieferndielen. Die Wände wurden von seinen Kunstwerken – in Rottönen bemalte Leinwände – geziert.
Er stand hinter mir, während ich sein Reich inspizierte.
Mir fiel eine kleine Leinwand auf einer Staffelei ins Auge und ich ging zu ihr hinüber. Das Gemälde bestand aus einer Reihe dicker, weinroter Striche und kleinen schwarzen Farbresten darunter. Inmitten des roten Chaos’ lag ein abgetönter Bereich. Bei näherem Hinsehen erkannte ich das Profil einer Frau mit gesenktem Kopf.
Roberto trat neben mich. “Das bist du.”
Ich lachte. “Ach so. Das hast du also heute Abend noch schnell gemalt, nachdem du mich gesehen hast.”
“Nein, schon vor zehn oder elf Jahren. Ich kannte die Frau nicht, die ich damals malte. Sie war hier drin.” Er tippte sich gegen den Kopf. “Dann sehe ich dich heute Abend in dem
ristorante
und ich weiß: Sie, das bist du.”
“Ach, komm.” Wieder lachte ich. “Wie vielen Frauen hast du diese Geschichte schon erzählt, hm?”
“Nur dir”, erwiderte er bloß. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf das Bild. “Das bist du.”
Ich trat noch einen Schritt näher: Die Frau hatte schulterlanges Haar, so wie ich; ihre Augen waren klein und von langen Wimpern umrandet, so wie meine. Und irgendetwas an dem hohen Bogen ihres Wangenknochens gab mir – wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde – das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen.
“Es ist schön”, sagte ich. “
Bellissimo.”
Er stellte sich hinter mich, legte die Hände auf meine Schultern und fuhr dann meinen Nacken entlang bis in die Haare. Er hob sie hoch. “Nein. Du bist schön.”
Er beugte sich hinunter. Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr. “
Bellissima”
, raunte er. “
Bella.”
Er wiederholte es immer wieder –
Bella. Bella. Bella.
Seine Hände durchwühlten mein Haar. Seine warmen, weichen Lippen berührten meinen Nacken.
Bella. Bella.
Er sprach die Worte wie ein Mantra, während er mich sanft zu einer antiken, mit Brokatstoff bezogenen Liege dirigierte. Darüber hing ein besonders lebhaftes Gemälde. Langsam knöpfte er meine Bluse auf und zog sie mir aus. Ganz vorsichtig enthüllte er mich. So, wie er es wohl auch mit einem wertvollen Gemälde getan hätte.
Als er sich auf mich legte, war irgendwie auch Nick mit im Raum. Und als ich das volle Gewicht von Robertos Körper spürte, bestrafte ich Nick – und mich selbst. Aber ich genoss es. Ich hatte mich danach gesehnt. Ich brauchte es.
Am nächsten Morgen betrat ich leise mein Hotelzimmer. Ich hatte mich verträumt und matt gefühlt, als ich auf Zehenspitzen aus Robertos Wohnung geschlichen war. Doch nun im hellen Morgenlicht – Gottes Taschenlampe, wie meine Mutter immer sagte – fühlte ich mich bloßgestellt und ein bisschen schäbig.
Ich rechnete damit, einen dunklen Raum vorzufinden; damit, dass Kit noch bei ihrem französischen Botschafter war oder tief vergraben zwischen den Decken lag. Kit war ein notorischer Langschläfer und stand prinzipiell als Letzte auf. Doch das Zimmer war lichtdurchflutet, und Kit war hellwach. Sie saß an einem runden Tisch vor der geöffneten Balkontür und hatte einen Brötchenkorb und eine Tasse Espresso vor sich stehen. Vor den Fenstern erwachte Rom allmählich aus seinen Träumen, während sich die Sonne über den Kuppeln unzähliger Kirchen immer goldener färbte.
“Morgen”, begrüßte Kit mich. Sie trug einen Hotelbademantel und hatte das nasse Haar zurückgekämmt. Sie sah sauber und frisch aus.
“Hi.” Unschlüssig stand ich auf der
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