Roemisches Roulette
Samstagmorgen, ich war gerade von einer Yogastunde zurück, bei der mein Körper die meiste Zeit eine Brücke geformt hatte, damit mir das Blut in den Kopf und – vermutlich – in die Eierstöcke floss, rief überraschend meine Mutter an. Es war in der ersten Oktoberwoche und diese Zeit des Jahres hatte ich immer schon ganz besonders gemocht. Momentan konnte ich mir nicht vorstellen, unser Haus in der Bloomingdale Avenue zu verlassen. Glücklicherweise hatte ich lange Zeit nichts von Kit gehört. Doch ich kannte meinen Ehemann und wusste, dass er in Gedanken bereits die Wohnung am Lake Shore Drive einrichtete und darin standesgemäß Ausschussmitglieder empfing. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm sagen sollte, dass ich jetzt doch lieber bleiben wollte. Als ich auf dem Telefondisplay den Namen meiner Mutter las, schnappte ich mir den Hörer.
“Ray Ray”, sagte sie, “ich vermisse dich so.”
Ich setzte mich auf die Kochinsel. “Ach Mom, ich vermisse dich auch.” Ich blickte nach draußen. Die Weide ließ ihre Zweige tief herabhängen, und die anderen Bäume bedeckten mit ihren roten Blättern den grünen Rasen.
“Schatz, ich habe gehört, es gibt vielleicht Neuigkeiten?”
“Welche denn?”
“Na ja, als Erstes, dass ihr einen Umzug plant.”
Ich stöhnte. “Und von wem hast du das gehört?”
“Von Nicks Mutter.”
“Du hast mit Nora gesprochen?” Nicks Mom gehörte nicht gerade zu den Menschen, mit denen sich meine Mutter gut verstand.
“Sie hat mich aus heiterem Himmel angerufen, um über euch zwei zu sprechen. Leider konnte ich nicht viel zu der Unterhaltung beitragen. Wir haben in letzter Zeit ja nicht besonders häufig telefoniert, Rachel.”
Ich schwieg. Ich hatte die Gespräche mit meiner Mutter vermieden, weil sie nicht gewollt hatte, dass ich nach Nicks Seitensprung bei ihm blieb. Aber sie fehlte mir.
“Ich habe mich geschämt, als sie angerufen hat”, sprach sie weiter, “weil ich nichts von alledem wusste.”
“Es ist noch gar nichts spruchreif, Mom. Wir haben uns eine Wohnung angesehen, ja. Aber wir denken nur darüber nach. Das heißt: Nick denkt darüber nach.”
“Nicks Mutter hat noch etwas erwähnt.”
“Und das wäre?” Ich konnte es mir schon denken.
“Sie sagte, du versuchst …”
“… schwanger zu werden”, beendete ich ihren Satz. “Das stimmt. Aber bisher hat es noch nicht geklappt.”
“Schatz”, sagte sie. Nur dieses eine Wort. Und dann: “Du wirst eine großartige Mutter sein.”
Ich hatte einen Kloß im Hals und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. “Glaubst du wirklich?”
“Ich weiß es. Du bist liebevoll und selbstlos. Du kannst einem Kind so vieles geben.”
“Danke Mom.” Unverwandt starrte ich in den Garten. Ich hatte mir immer vorgestellt, wir würden eine Schaukel unter der Weide aufstellen, wenn wir Kinder hätten. Ich hatte mir Grillfeste ausgemalt und einen Sandkasten in der Ecke.
“Und stell dir nur vor”, fuhr meine Mom fort, “du kannst den Kindern das Malen beibringen.”
Ich erzählte ihr vom Kellerraum, den Nick für mich renoviert hatte, und dass ich in der letzten Zeit zu beschäftigt gewesen sei, um zu malen. Während ich diese Worte aussprach, beschloss ich, den restlichen Nachmittag dort unten zu verbringen. Nick war zu einem Notfall in den OP gerufen worden und würde frühestens in ein, zwei Stunden zurück sein.
Meine Mutter und ich telefonierten noch zwanzig Minuten. Dann belegte ich mir ein Sandwich und stellte mir unsere Kinder und mich in dieser Küche vor – wie ich ihnen die Pausenbrote einpackte, sie in die Schule schickte oder die Nachbarskinder, die bei uns übernachten würden, mit einem leckeren Abendbrot verwöhnte. Wie könnten wir dieses Haus je verlassen?, fragte ich mich. Und wie wäre es dagegen, wenn unsere Kinder in einem Hochhaus aufwachsen müssten? Ich muss mit Nick sprechen. Ich muss ihm sagen, dass ich unmöglich umziehen kann.
In freudiger Erwartung auf ein paar einsame Stunden in meinem Zimmer tappte ich die Kellertreppe hinunter. Doch in dem Augenblick, als ich das Licht einschaltete, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Wir waren seit Wochen nicht mehr hier unten gewesen. Wir hatten den Raum aufgeräumt hinterlassen – keine Zeitungen lagen neben dem Sessel, keine schmutzigen Lappen oder Pinsel an meinem Arbeitsplatz. Dennoch war es, als wäre jemand hier gewesen. Irgendetwas war anders als sonst.
Und dann sah ich, was es war. Robertos Bild.
Es hing wieder über
Weitere Kostenlose Bücher