Roemisches Roulette
werden Sie zur Twenty-Sixth Street Ecke California Avenue bringen”, begann er.
“Zum Strafgericht?” Ich rieb mir die Augen und setzte mich aufrecht hin. Ich kannte das graue Steingebäude nur aus den Nachrichten.
“Genau”, bestätigte Tom.
“Wieso?”
“Sie müssen vor einen Haftrichter treten, der über Ihre Freilassung auf Kaution entscheidet. Ich werde auch im Gerichtssaal anwesend sein. Manchmal läuft das Ganze auch per Video ab, aber da es sich um einen großen Fall handelt, wird der Richter ihn sich persönlich anhören und dann die Kaution festlegen. Ich vermute, es werden fünfhunderttausend bis eine Million Dollar sein.”
Entsetzt schlug ich mir die Hände vor den Mund.
“Sie müssen nur zehn Prozent der Summe hinterlegen”, erklärte Tom. “Sind Sie dazu in der Lage?”
Ich dachte an das Geld, das ich Kit gegeben hatte. Es hätte fast für meine gesamte Kaution gereicht.
“Das wären dann also fünfzigtausend oder hunderttausend?”, fragte ich Tom.
“Genau. Für jeden von Ihnen.”
“Oh Gott.” Eine neuerliche Woge der Angst brach über mir zusammen. “Das heißt, wir müssen einhundert- oder zweihunderttausend Dollar aufbringen?”
Wieder nickte Tom. Ich bewunderte seine Ruhe. Andererseits war diese Situation für ihn nichts Neues. Er hatte sich im Laufe seiner Anwaltskarriere vermutlich ein dickes Fell zugelegt.
“Dann müssen wir das wohl”, dachte ich laut.
“Wie geht es Nick?”, fragte ich dann.
“Ich wollte zuerst zu Ihnen. Zu ihm gehe ich jetzt.”
“Sagen Sie ihm, wir werden es schaffen.”
Nachdem Tom gegangen war, wurde ich zurück in die Zelle gebracht. Obwohl ich mich todmüde fühlte, war an Schlaf nicht zu denken. Um auch den Geist wach zu halten, ging ich auf und ab. Ich konnte exakt vier Schritte machen. Eins, zwei, drei, vier. Umdrehen. Eins, zwei, drei, vier. Umdrehen. Nach etwa einer Stunde trat eine Wärterin an meine Zelle.
“Strecken Sie die Hände durch die Gitterstäbe, Ma’am.”
Ich eilte zu ihr hinüber und wäre vor Erschöpfung beinahe hingefallen. Dann streckte ich die Hände aus. Bekam ich etwas zu essen?
“Hübsche Fingernägel”, bemerkte sie spöttisch.
Ich sah mir meinen roséfarbenen Nagellack an. In dieser Umgebung wirkte er in der Tat albern und deplatziert.
“Drehen Sie die Handflächen zum Boden”, wies mich die Wärterin an.
Ich folgte ihrem Befehl. Mit einem wasserfesten Stift schrieb sie die Ziffern 10034 auf meine beiden Handrücken.
“Was soll das bedeuten?” Ich blickte auf meine weiße verunstaltete Haut, als gehöre sie zu jemand anderem.
“Ihre Nummer”, antwortet sie. “Damit werden Sie vor Gericht aufgerufen.”
Die Ziffern sahen aus, als ließen sie sich nie wieder abwaschen. Meine ganz persönliche Variante des scharlachroten Buchstaben.
Minuten später wurden meine Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt, und ich wurde in die Tiefgarage zu einem wartenden Bus gebracht, der zur Hälfte mit Frauen belegt war. Jede von ihnen sah genauso erschöpft aus, wie ich mich fühlte. Einige grinsten, als ich einstieg; andere starrten mich kampflustig an.
Ich gehöre nicht hierher, dachte ich und senkte den Blick, da ich mich für diesen überheblichen Gedanken schämte.
In der zweiten Reihe saß am Fenster die Frau in dem Fußballtrikot. Die Wärterin schubste mich auf den freien Platz neben ihr, sodass ich halb auf ihrem Schoß landete.
“Entschuldigung”, sagte ich.
Sie grunzte verächtlich. Anscheinend fand sie mich nicht mehr halb so komisch wie noch ein paar Stunden zuvor.
Der Bus ratterte aus der Garage hinaus und fuhr hinein in die schwarze Nacht.
“Wie spät ist es?”, fragte ich leise.
“Das sagen sie einem nie”, erwiderte meine Sitznachbarin.
Nur zu gern hätte ich mir den Schlaf aus den Augen gerieben. Meine Kopfhaut juckte und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mich zu kratzen. Mit den Händen auf dem Rücken fühlte ich mich gefangen und irgendwie kurzatmig. Die Hitze war schier unerträglich. Keines der Fenster war geöffnet, nicht eine frische Brise wehte herein. Ich hatte das Gefühl, es sei Jahre her, dass ich zuletzt frische Luft atmen durfte.
Der Bus rumpelte durch verschlafene Wohnviertel und dann auf den Highway. Nach zwanzig Minuten fuhren wir in eine andere Tiefgarage, in der wir aussteigen durften.
Man dirigierte uns durch eine Unterführung und hinein in Fahrstühle, die groß genug waren, um ganze Viehherden zu bewegen. Auf der oberen Etage
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