Roemisches Roulette
Blick. Als unsere Fallnummer aufgerufen und die Anklagen für das Protokoll verlesen wurden, sah sie uns über ihre Nasenspitze hinweg an. Ich bemühte mich nicht zusammenzuzucken, als das Word “Mord” fiel.
Hinter einem anderen Tisch erhob sich ein rotgesichtiger Mann Mitte dreißig. “Guten Morgen, Euer Ehren. Bill Zar, als Vertreter der Staatsanwaltschaft. Euer Ehren, wir sind hier, um die Kaution in der Angelegenheit ‘der Staat Illinois gegen Nicholas Blakely und Rachel Blakely’ festzulegen. Die Anklage lautet in beiden Fällen: Mord. Das Ehepaar wird beschuldigt, ihre gemeinsame Freundin Katherine Kernaghan in ihre Wohnung gelockt …”
“Ich bin mit dem Fall vertraut, Herr Staatsanwalt”, unterbrach ihn die Richterin.
Ich warf Tom Severson einen flüchtigen Blick zu. Verhieß ihr Wissen Gutes für uns? Er beobachtete die Richterin ruhig und aufmerksam.
“Kautionsvorschläge?”, fragte die Richterin.
“Euer Ehren, wir ersuchen Sie, in diesem Fall keine Kaution zu gewähren”, sagte Bill Zar.
“Mit welcher Begründung?”
“Hier geht es um Mord, Euer Ehren. Nicholas und Rachel Blakely verfügen über die Mittel, die Stadt, sogar das Land jederzeit problemlos zu verlassen.”
Tom Severson erhob sich. “Euer Ehren, die Empfehlung des Staatsanwalts ist lächerlich. Dr. und Mrs. Blakely sind ehrbare Mitglieder unserer Gesellschaft. Keiner von beiden wurde je eines Verbrechens angeklagt. Beide wollen sich so bald wie möglich einer Verteidigung stellen. Hier besteht absolut keine Fluchtgefahr, und das weiß der Staat genau.”
Die Richterin faltete die Hände und legte sie auf den Rand des Richterstuhls. “Ich stimme Ihnen zu, Herr Verteidiger. Die Kaution wird auf fünfhunderttausend Dollar pro Angeklagtem festgelegt. Die Angeklagten werden festgehalten, bis die Kaution hinterlegt ist. Der nächste Fall, bitte.”
Tom bedeutete Nick und mir aufzustehen. Wir wurden durch mit Leder verkleidete Türen in ein Zimmer hinter dem Gerichtssaal geführt. “Besser hätte es nicht laufen können”, meinte Tom. “Sobald das Geld für die Kaution da ist, können Sie hier raus.”
“Meine Eltern werden das übernehmen”, meinte Nick. Er gab Tom die Mobilfunknummern seiner Mutter und seines Vaters.
“Wie lange wird es dauern?”, erkundigte ich mich.
“Ich werde sofort alles in die Wege leiten”, erwiderte Tom, “aber es hängt davon ab, wie schnell die Gelder transferiert werden. Das kann wenige Stunden oder ein paar Tage dauern.”
Ein paar Tage.
Ein paar Tage würde ich es in dem Käfig auf keinen Fall aushalten. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Im Falle einer Verurteilung würden uns diese Tage auf die Gesamthaftzeit angerechnet.
“Mein Dad ist Politiker”, sagte Nick. “Und meine Mom hat immer sämtliche seiner Kampagnen geführt. Beide wissen also, wie man Dinge schnell und diskret erledigt.”
Kurz bevor uns die Wärter in getrennte Richtungen führten, rief Nick meinen Namen. Ich drehte mich um, und wir blickten einander lange in die Augen. Ich riss mich zusammen, um nicht zu weinen. Nick beugte sich langsam vor, bis seine Stirn die meine berührte. “Wir schaffen das”, flüsterte er.
Ich inhalierte seinen Duft. Ich genoss es, seine Haut auf meiner zu spüren, auch wenn es nur eine winzige Berührung war. “Ich weiß.”
Neunundzwanzig Stunden nach meiner Verhaftung war ich wieder auf freiem Fuß.
Die Justizbeamtin legte meinen Papierkram auf den Schalter. “Das wär’s”, sagte sie. “Alles Gute.”
Ich hatte sonst nichts bei mir und fühlte mich ohne mein Handy, mein Portemonnaie und meine Kreditkarten, als wäre ich nackt.
“Gibt es hier ein Telefon, das ich benutzen kann?”
Die Beamtin lachte zynisch.
“Ich weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll.”
“Mir geht’s manchmal genauso.”
Ich unterdrückte den Drang, ihr eine Ohrfeige zu verpassen. “Könnten Sie mir vielleicht etwas Kleingeld leihen?”
Sie schnaubte und sah mich genervt an. Schließlich griff sie unter ihren Tisch und holte ein ramponiertes orangefarbenes Portemonnaie hervor. Sie wühlte darin herum und knallte ein paar Vierteldollermünzen auf den Tresen. “Spende von Cook County. Und mir. Münztelefon ist da drüben.”
“Danke. Kann ich irgendwie herausfinden, ob mein Mann schon entlassen wurde?”
“Wie gesagt: Das Münztelefon ist da drüben.”
Ich rief Tom Severson an.
“Ich schicke Ihnen einen Wagen, der Sie nach Hause bringt”, meinte er. “Nick
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