Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Volk über sich selbst brachte. Wir sprechen nicht oft darüber.“ Sie lächelte gequält, als würde sie lieber weinen, könnte sie sich bloß erinnern, wie das anzustellen war. „Jede Elfe, die Mutter wurde, hat damals schon gefürchtet, dass ihr Kind bereits einmal gelebt haben könnte. Sollten wir Osmege besiegen, wird sich das ändern, dann ist es keine Furcht mehr, sondern Gewissheit.“ Sie lachte bitter. „Ich glaube jedenfalls nicht, dass der Tod für euch Orn schlimmer ist als das Leben, zu dem wir Elfen verflucht sind.“
Eingeschüchtert wich Pera ihrem brennenden Blick aus. Ledrea seufzte und lächelte nun wieder.
„Ich lebe schon viel länger, als es mir gut tut, verzeiht. Ich habe vergessen, wie man mit den Jungen spricht.“
Den Rest des Tages verbrachte sie mal in düsterem Schweigen, beantwortete keine Frage mehr, mal begann sie wunderschöne Elfenlieder zu singen. Die Worte waren für Pera und Jordre nicht zu verstehen, doch der Schmerz in diesen traurigen Melodien brauchte keine Erklärung.
In dieser Nacht wich Pera nicht aus, als Jordre nach ihrer Hand griff und sie festhielt, bis er selbst eingeschlafen war. Sie lauschte den ruhigen Atemzügen dieses Mannes, der für sie ein Freund geworden war. Ein Vertrauter, ein Schicksalsgefährte. Sie wusste, für ihn war sie bereits mehr.
Vielleicht werde ich lange genug überleben, um es erwidern zu können, was auch immer es genau sein mag, dachte sie sehnsuchtsvoll.
Vielleicht …
Während sie langsam in den Schlaf glitt, versuchte sie sich darüber klar zu werden, ob das sanfte Ziehen in ihrem Innersten, das sie spürte, sobald Jordre sie berührte, nun tatsächlich Abwehr war, oder etwas, das sie nicht benennen wollte.
8.
„Verzeihen liegt nicht in der Natur der Hexen. Sie halten nicht am Schmerz der Vergangenheit fest, sie reißen keine Wunden beständig neu auf. Aber wen sie einmal zum Feind erklärt haben, wird es meist auf ewig bleiben.“
Yosi von Rannam, „Töchter der Dunkelheit“
Erwachen war schwierig. Eivens Verstand war wie in Wolken gepackt, er wusste nicht, wo er sich befand oder wie er dorthin gekommen war, er wusste nur, es war ein guter Ort. Es duftete nach Wald, jungen Blättern und Fluss. Nun nahm er auch das Rauschen des Wassers wahr. Träge überlegte er, ob er sich bewegen wollte, es war so wunderbar warm und bequem, wo er lag, er spürte keinerlei Schmerzen.
Nicht so wie in den vergangenen Tagen …
Mit einem Schlag kehrten alle Erinnerungen zurück. Eiven wollte hochfahren. Es war unmöglich. Er konnte keinen einzigen Muskel bewegen und Augenblicklich war die Angst wieder da. Das Wissen um die Folter, die ihn erwarten würde. Womöglich nicht sofort – Misham schien nicht da zu sein – doch bald schon. Viel zu bald. Stumm kämpfte er gegen die Fesseln, wand sich lautlos gegen die unzähligen Stricke, die um seinen gesamten Leib gewickelt waren – bis ihm bewusst wurde, dass irgendetwas daran merkwürdig war. Keine Schmerzen. Die Fesseln waren glatt, sie schnitten nicht in sein Fleisch. Eine zarte, unmenschliche Stimme wisperte beruhigende Worte; Eiven verharrte, um sie zu verstehen:
„Ruhig, Eiven von den Loy, ruhig, du bist bei mir, fern von deinen Feinden. Ruhig, du verletzt dich selbst und mich dazu, bleib still, Kind des Zwielichts!“
Schwer atmend kam Eiven zur Ruhe, langsam öffnete er die Augen. Es war dunkle Nacht, aber selbst als nur ein halber Loy war es leicht für ihn, in der Finsternis zu sehen. Die Fesseln, die ihn hielten, waren keine rauen Stricke mehr, sondern schlanke, blätterbesetzte Zweige. Nun spürte er auch endlich den Wind, die leichten Bewegungen der Baumkrone und das Summen der Weide, die vor Lebendigkeit unter ihm vibrierte.
„Ich lasse dich jetzt los, versprich mir, nicht wegzulaufen. Deine Heilung ist noch nicht abgeschlossen. Du bist noch nicht stark genug, mich zu verlassen.“
„Ich bleibe“, flüsterte Eiven kaum hörbar. Er wusste nicht, wie er hierher gekommen war, oder wo „hier“ überhaupt war, und wollte keinerlei Aufmerksamkeit erregen. Als die Weide ihn freigab, richtete er sich langsam auf und schaute um sich. Sofort bemerkte er die regungslose Gestalt eines Loys, der in der Gabelung des Baumes lehnte und schlief. Ob das Misham war? Eiven erinnerte sich an den Wandel, den er in seinem Halbbruder gespürt hatte. Das Zögern, das Bedauern ... Ob Misham ihn tatsächlich befreit hatte? Doch auf dem zweiten Blick wurde klar, es musste sich um einen älteren Mann
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