Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
ich dir nichts überlassen, dessen Wert ich nicht beurteilen konnte.“
Wider Willen musste Thamar lächeln – er wusste nicht, wie der alte Mann ihn erkannt haben mochte, gewiss war er niemals in Roen Orm gewesen. Doch es eine Erleichterung, dass er sich ihm gegenüber nicht länger zu verstellen brauchte, er hatte es gehasst, Ronlad anlügen zu müssen.
„Ich werde mich bemühen, Euren Anweisungen gerecht zu werden“, sagte er und nickte Ronlad zu.
Als er wieder allein war, beugte Thamar sich über das Pergament. Er war niemals gut in Nagaurisch gewesen, die Tinte war dafür, dass sie vergleichsweise jung war, arg verblasst und schwer leserlich. Zudem schien der Fremde hastig geschrieben zu haben, die Schrift war an zahlreichen Stellen krakelig und ungelenk. Das würde eine langwierige Aufgabe werden, so viel stand fest ...
7.
„Das Leben ist ein Wagnis. Es lohnt sich, es einzugehen, wen kümmert es, was daraus wird? Los, lass uns waghalsig sein!“
Zitat aus „Der Ruf des Korabal“, Komödie von Shila von Erten
Nie hätte Jordre gedacht, dass er einmal so glücklich sein könnte, wieder in der Wildnis zu sein. Nach der eisstarrenden Schneewelt, in der überhaupt kein Leben mehr möglich zu sein schien, begrüßte er die vertrauten Chimären und tödlichen Schlingpflanzen. Zumindest waren sie vor diesen Gefahren beschützt. Vier Tage hatte es gedauert, den Bergpass auf den träumenden Pferden, die keine waren, zu bezwingen, und ohne Ledrea hätten sie nicht einen davon überlebt.
„Ist der Pass immer so fürchterlich?“, fragte Pera, als sie endlich die Baumgrenze erreichten. „Ich meine, Chyvile konnte ja nicht wissen, dass wir dir begegnen würden, sie hätte uns doch nicht in den Tod geschickt?“
„Gewöhnlich ist der Pass zu dieser Jahreszeit frei. Mir will es scheinen, als wollte Osmege kein Risiko eingehen. Er weiß, dass ihr unterwegs seid, auch wenn er euer Ziel nicht kennt. Gewiss schützt er alle Bergpässe, Brücken, Furten und Taleingänge mit der schieren Gewalt der Natur.“ Ledrea hielt plötzlich inne, als ihr Pferd strauchelte.
„Ah, ich habe es befürchtet. Schnell, springt ab“, sagte sie und glitt selbst anmutig von ihrem Reittier hinab.
„Was ist los?“, fragte Pera verwundert.
„Sie verhungern, das ist los.“ Die Elfe klopfte auf das weiße Fell des Schneepferdes. „Es sind Aasfresser, in ihrer illusionären Pferdegestalt haben sie allerdings nicht die passenden Zähne, um Fleisch zu reißen und in der Schneewüste hatte sich keine Beute angeboten. Ihre Falkenkörper sind eigentlich nicht stark genug, unser Gewicht lange Zeit zu tragen, es hat sie ausgezehrt. Ich hätte ihnen magisch gezogenes Gras geben können und sie träumen lassen, es wäre, was sie wirklich begehren. Aber ihre Körper wären davon krank geworden, es hätte nur geschadet. Ich musste sie also hungern und dabei glauben lassen, sie wären satt und glücklich.“
Erschrocken streichelte Pera über die Mähne ihres Pferdes. Sie wusste, es war eine Bestie, doch es hatte ihr treu gedient, ob nun freiwillig oder nicht. Sie hatte nicht einmal darüber
nachgedacht, ob Ledrea die Tiere versorgen würde, wenn sie nachts in die Traumwelt der Elfe gingen!
„Sie leiden nicht, beschwere deine Gedanken nicht damit. Wir lassen sie jetzt frei, von hier aus können wir zu Fuß weiter. Sie werden nicht sterben … Ich denke, sie hatten mit uns die schönsten Tage ihres Lebens. Weicht ein Stück zurück.“
Hastig stolperten Pera und Jordre wieder ein Stück den Berg hinauf und sahen zu, wie aus den Pferden grässliche Chimären wurden, die sich schnell in die Luft erhoben. „Sie ärgern sich ein wenig, wie hungrig sie plötzlich sind, sind allerdings nicht klug genug, um deswegen Angst zu empfinden. Auch die Landschaft ist ihnen nicht fremd, sie sind in ihren Träumen hierher geflogen. Nun kommt, es ist nicht mehr weit bis Merpyn. Lasst uns weitergehen. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es bis heute Abend zurück in die Ebenen“, sagte Ledrea.
Schon lange, bevor sie den Abstieg hinter sich gebracht hatten, bemerkte Pera ein dunkles Band, das sich zwischen den Bäumen dahin schlängelte.
„Ist das der Eptrón?“, fragte Jordre die Elfe. Gemeinsam mit Chyvile hatte er diesen Fluss früher häufig erkundet, wie so ziemlich jede nennenswerte Wasseransammlung Anevys. Pera konnte ihm stundenlang zuhören, wenn er von seinem Leben an der Seite dieser mächtigsten aller Famár erzählte. Sie fühlte sich dann
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