Röslein rot
habe mit Luigi ausgemacht, daß ihr heute auf dem Pferd seines Bruders reiten dürft...«
»Da mache ich Fotos«, sagte Rüdiger sofort. Meinen Plan, mich für einige Stunden mit ihm von der Familie abzusetzen, hatte er leider nicht durchschaut.
Ich mußte deutlicher werden: »Eigentlich habe ich gehofft, daß du mich beraten würdest«, sagte ich mutig und sah ihn strahlend an. »Ich tu' mich manchmal schwer bei modischen Entscheidungen.«
Rüdiger sagte: »Ich auch. Deine Schwester ist sicher eine bessere Ratgeberin als ich. Aber ich komme gern mit.«
Lara eskortierte uns bis zur Bushaltestelle. »Eigentlich bin ich schon oft genug auf Silvias Pferd herumgezockelt«, sagte sie. Ich atmete tief durch, da fuhr sie schon fort: »Aber Tante Ellen soll ihren Spaß haben.«
Wir mußten lange auf den Bus warten. Diesmal war mir die Aussicht auf dichtes Gedränge ganz recht. »Mama«, rief Lara, »es kommen zwei Busse. Der zweite ist voll leer!« Aber ehe sie es sich versah, winkte ich ihr aus dem ersten zu.
Meine lustvollen Versuche, mich in jeder Kurve gegen Rüdiger fallen zu lassen, wurden bald durch einen freien Sitzplatz beendet. In Lacco Ameno lotste ich meinen Begleiter durch den öffentlichen Park zur Villa Arbusto. Der Park war liebevoll mit schattigen Laubengängen, Rosen und Myrten bepflanzt. Auf einer gekachelten Bank hatten wir einen Postkartenblick auf das Wahrzeichen der Stadt, »Il Fungo«, einen pilzförmigen Tuffblock, der vom Monte Epomeo ins Meer gepurzelt ist. Aus dem Reiseführer las ich die Geschichte einer unglücklichen Liebe vor, denn der Pilz stellte ein zu Stein erstarrtes Paar dar.
Allmählich hatte ich den Eindruck, daß auch Rüdiger aus Stein war. Kurz entschlossen fragte ich: »Bist du verheiratet?«
Er antwortete nicht besonders prompt: »Im Gegensatz zu dir bin ich seit zehn Jahren geschieden.«
»Warum?«
»Wir paßten nicht zueinander. Vielleicht waren wir zu jung, als wir heirateten.«
Tröstend griff ich nach seiner linken Hand. Einer von uns beiden mußte schließlich den Anfang machen. Er ließ es sich zwar gefallen, blätterte aber gleichzeitig mit seiner freien Rechten in meinem Ischia-Führer und sah nach, wann das Museo Archeologico geöffnet hatte. Was machte ich bloß falsch?
Nach Museumsbesuch, Handtaschenkauf und einem Tellerchen Antipasti fuhren wir zurück. Inzwischen wohnten Ellen und ich längst in Einzelzimmern; leicht verzagt zog ich mich zu einem einsamen nachmittäglichen Schläfchen zurück.
Nach fünf Minuten klopfte meine Schwester an die Tür und sah mich erwartungsvoll an. »Nichts«, sagte ich.
»Ist er vielleicht schwul?« fragte Ellen.
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum verbringt er dann seine Ferien mit uns?« sagten wir beide gleichzeitig.
»Ich nehme an, er trauert um eine Frau«, schlug Ellen vor. »Er kann sie nicht vergessen, hat sich innerlich noch nicht von ihr gelöst.«
Ich gab ihr recht. Wahrscheinlich war es ein aussichtsloser Fall; schließlich wollte ich Rüdiger nicht vergewaltigen. Außerdem hatte bereits die Tatsache seiner ständigen Präsenz etwas Gutes, denn von Stund an hielt er mir, ohne sich dessen bewußt zu sein, die Papagalli vom Leibe.
Warum wurde es meinem Ehemann daheim von seiner Sekretärin so leichtgemacht, während ich bei aller Mühe leer ausging?
Als wir nachmittags wieder gemeinsam am Strand saßen, zeigte ich auf das schöne Pärchen und meinte: »Beneidenswert diese beiden, findest du nicht auch?«
Mein steinerner Kavalier nickte zustimmend. »Noch halbe Kinder«, sagte er versonnen.
War ich ihm zu alt? Schließlich war er selbst nicht mehr zwanzig. Ich startete einen weiteren Versuch und ließ mir den Rücken einreihen; er gehorchte ebenso willig und freundlich, wie es meine Schwester tat, aber ich wußte, daß man auch anders einölen kann.
Lara war taktvoll; unter vier Augen fragte sie: »Magst du den Rüdiger lieber als den Papa?«
Ich lachte etwas künstlich. »Schatz, was für ein Blödsinn! In ein paar Tagen sind wir wieder zu Hause und sehen Rüdiger nie wieder.«
Ich sah mein Kind forschend an. »Hast du ihn etwa lieber als deinen Vater?« fragte ich vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. »Er mag Jungs viel mehr als Mädchen«, sagte sie.
Laras Worte machten mich hellhörig; von nun an beobachtete ich Rüdigers Kinderspiele mit Adleraugen. Warum hatte ich bisher nie in Erwägung gezogen, daß dieser Mensch Gefallen an meinem kleinen Sohn gefunden hatte?
»Ellen«, sagte ich bestürzt,
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