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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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an den Flughafen nach Neapel, Reinhard würde uns in Frankfurt abholen.

Schafskopf

    Der strömende Regen bei unserer Landung paßte durchaus zu meiner schlechten Laune. Die Kinder stürzten sich auf ihren Vater und umarmten ihn so überschwenglich, als hätten sie ihn monatelang nicht gesehen. In seiner Rührung schloß mich Reinhard ebenfalls in die Arme, dann lud er das Gepäck auf ein Kofferwägelchen und schüttelte den Kopf über die vielen Plastiktüten mit sperrigem Angelzubehör, Taucherbrillen und noch nassen Badehosen. Im Auto ging das große Erzählen los, Lara redete ohne Punkt und Komma bis vor unsere Haustür.
    Wie sah es zu Hause aus? Ordentlich oder total verdreckt? Weder noch, stellte ich fest, genauso wie auch Reinhards psychische Verfassung weder als beschwingt noch als verdrossen einzuordnen war. In den letzten zwei Tagen hatte niemand aufgeräumt, aber es sah auch nicht nach dreiwöchiger Mißwirtschaft aus. Während sich die erste Portion Wäsche in der Maschine drehte, lief ich in den Garten. Ich war mir fast sicher, daß ich auf neugepflanzte Tännchen stoßen würde. Das hatte Reinhard zwar unterlassen, das Unkrautjäten und Gießen leider auch. Gut, daß es regnete.
    »Papa, kannst du pokern?« hörte ich Jost fragen.
    Reinhard unterstellte zwar, Skat sei spannender, holte aber bereitwillig die Karten aus der Schublade, um vor dem Essen mit den Kindern eine Runde Poker zu spielen. Ich wusch in der Küche schmutzige Tassen (ohne Lippenstiftrand) und verkrustete Teller ab und konnte durch die geöffnete Durchreiche hören, wie die Kinder mit jedem zweiten Satz behaupteten: »Rüdiger hat aber gesagt...«
    Erst als Lara und Jost im Bett lagen und wir leicht befangen beisammen saßen, fragte Reinhard mißtrauisch, wer dieser Rüdiger sei. Ich kramte Fotos heraus, die wir mit der Polaroidkamera aufgenommen hatten. »Ist dieser Mensch eigentlich auf jedem Bild dabei?« fragte Reinhard leicht pikiert. »Ich dachte, du wärest mit deiner Schwester verreist?«
    Ja nun, Ellen war tatsächlich fast nie zu sehen, weil sie die meisten Aufnahmen gemacht hatte. Seltsamerweise hatten wir in den ersten beiden Wochen, als wir noch ohne Herrenbegleitung waren, gar nicht ans Fotografieren gedacht. Ellen war erst durch Rüdiger angesteckt worden.
    Nach eingehender Betrachtung polterte Reinhard los: »So ist das also! Du hast dir einen Kurschatten zugelegt!«
    »Reg dich ab«, beschwichtigte ich ihn amüsiert, denn von dieser Seite kannte ich ihn noch gar nicht, »für Rüdiger war ich uninteressant. Der steht auf kleine Buben.«
    Hätte ich doch den Mund gehalten! Reinhard war derart entsetzt über meine Worte, daß er sich gar nicht mehr beruhigen konnte. Ob ich wahnsinnig sei! Vergeblich beteuerte ich, daß sich Rüdiger niemals eines Vergehens schuldig machen würde. Mein Mann hielt mich für verantwortungslos, grenzenlos dumm und unfähig, seine Kinder zu schützen. Ich sei ein Schafskopf, der nur Heu und Stroh im Hirn und keine Spur von Mutterinstinkt und gesundem Menschenverstand habe.

    Auf dem Küchenbild eines anonymen Meisters ist ein abgetrennter Schafskopf der zentrale Blickfang: Mit seinen geöffneten Augen und seinem schmerzlich verzogenen Maul scheint dieses arglose Tier eher ein Symbol des Leidens denn der Dummheit zu sein. Im Hintergrund tafelt der auferstandene Jesus mit zwei Jüngern, eine Magd hält das Feuer in Gang, damit das opulente Essen auf dem großen Küchentisch zubereitet werden kann.
    Im Wirtshaus zu Emmaus lagern neben dem Schafskopf auf dem Eichentisch graugrüne Erbsenschoten, weiße Rüben, Wirsing, Karotten, Zwiebeln, frisches Einbackbrot und ein Hering; ein Obstkorb ist mit Kirschen, Äpfeln und Birnen gefüllt, im Hintergrund funkelt ein blankgeputzter Messingkessel. Am unteren Bildrand verläuft die Tischkante, auf der kleine und winzige Objekte ihren Platz finden: Fliege und Schmetterling, Röschen und Malvenblüte, Kirsche und Johannisbeere.
    Die vier Elemente werden durch das prasselnde Herdfeuer, den luftigen Schmetterling, den Fisch und die Gemüse aus tiefem Erdreich dargestellt. Ganz im Hintergrund spielt sich die biblische Szene ab, denn der unbekannte Maler wollte seine Kunst lieber an den satten Farben und Kontrasten des Kücheninventars als an moralisierenden Inhalten beweisen. Im tönernen Wasserkrug spiegelt sich das Licht des Fensters, das auch den polierten Kessel und die Fischschuppen aufleuchten läßt. Die Struktur des gewebten Leintuchs, des

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