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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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geflochtenen Korbs, der hauchzarten Blüten, der pelzig-weichen Schafsnase und der derben Kohlrippen ist derart plastisch dargestellt, daß man ihre Oberflächen mit dem Zeigefinger abtasten möchte. Und dennoch ist die ganze Pracht der Schöpfung ohne die Kunst des Malers ebenso flüchtig und zeitlich begrenzt, wie es leider die Mühe einer Hausfrau um ein festliches Essen ist. Vanitas, die barocke Vergänglichkeit, ist zumindest bei der täglichen Kocherei eine Konstante geblieben.

    Und so empfand ich meine Pflichten im Haushalt stets als Sisyphusarbeit - täglich wurde gespült, gekocht, gewaschen, geputzt und Unkraut gejätet, und am nächsten Morgen konnte ich wieder von vorn damit anfangen. Mein großes Familienbild hatte Reinhard zerstört; nichts blieb mir, nichts war so beständig, wie es die häßlichen Häuser meines Mannes waren. Meine Kinder würden mich in zehn Jahren verlassen. Wofür lebte ich eigentlich?

    An jenem ersten Abend wurde unser ungutes Tête-à-tête durch Telefonklingeln unterbrochen. Erleichtert begab ich mich an den Apparat, Reinhard knipste den Fernseher an. »Seid ihr heil zu Hause angekommen?« fragte Ellen. »Bist du allein, kannst du reden?«
    Ich stand im Flur, zog die Wohnzimmertür ein wenig zu und erstattete meiner Schwester Bericht über die aktuelle Lage: »Es war schlimm, auf allen deinen Fotos ist Rüdiger zu sehen! Zuerst war Reinhard eifersüchtig, dann bin ich mit der Wahrheit herausgerückt. Du kannst dir gar nicht vorstellen...«
    Ellen schien ein Kichern zu unterdrücken. »Aber er hat es unterdessen mit seiner Sekretärin getrieben?«
    Während ich noch überlegte, ob ich in den wenigen Stunden bereits auf Indizien gestoßen war, blieb mein Blick am Fenster hängen. »Du, Ellen, ich glaube fast, die Häkelgardinen sind frisch gewaschen! Ist das nicht seltsam?«
    Meine Schwester erachtete eine solche Tat auch als untypisch für eine Geliebte. »Es sei denn, sie wollte beweisen, daß sie ein Superweib ist, das besser für Reinhard sorgt als eine Schlampe wie du! Aber weißt du, in eine leere Wohnung zurückzukommen, ist auch nicht gerade schön. In der Post waren nur Mahnungen und eine Todesanzeige. Die Kinder meiner besten Freundin haben das einmal so formuliert: >Zwei treue Mutterhände haben aufgehört zu schlagen<...«
    Doch mir stand der Sinn nicht nach Kalauern, denn von meinem ungewohnten Platz hatte ich ein Küchenregal entdeckt, auf dem zehn wohlgefüllte Einmachgläser standen. »Warte mal«, schnaubte ich und flitzte zu den Marmeladengläsern. »Es ist einfach nicht zu fassen, aber das Superweib hat Sauerkirschmarmelade eingekocht! Handbeschriftet! Kannst du dir etwas Perverseres vorstellen?«
    Ich hörte Ellen einen Laut der Verblüffung ausstoßen und gleichzeitig ein Türenknarren. Reinhard hatte meinen letzten Satz gehört. »Ruft dein Rüdiger bereits an?« fragte er.
    Ich überreichte ihm den Hörer. »Anne-Kind, was ist?« brüllte Ellen in Reinhards Ohr.
    Er legte auf, ich heulte los und wies fassungslos auf die mit Spitzenpapier und rotem Bändchen adrett dekorierten Gläser.
    »Ach so«, sagte Reinhard, »meine Mutter war eine Woche lang hier.«

    Beinahe kam es zu einem Versöhnungsbeischlaf. Aber als wir uns im Bett aneinanderschmiegten, mußte ich plötzlich ununterbrochen niesen und mich unentwegt schneuzen. Der allergische Anfall hörte erst auf der dunklen Terrasse auf. Als ich nach einer halben Stunde frierend ins Bett zurückschlüpfte, wurde ich durch einen lauten Schnarcher auf meine Untauglichkeit als liebende Gattin hingewiesen.

    Einerseits konnte ich aufatmen, denn Reinhard hätte niemals eine fremde Frau während der Anwesenheit seiner prüden Mutter nach Hause gebracht, andererseits mochte ich es gar nicht, daß diese altgediente tüchtige Hausfrau meine kleinen Nachlässigkeiten entdeckte. Schon längst hätte ich den Kühlschrank gründlich auswaschen müssen; sie hatte es offensichtlich mit Hingabe und Essigwasser getan, außerdem die Küchenregale von ihrer Fettschmiere befreit und den Inhalt in neuer Anordnung eingeräumt. Unter größter Anstrengung rückte ich den Herd aus seiner Nische, weil sich erfahrungsgemäß eine hübsche Ansammlung von Nudeln, Erbsen, Kassenbons, Lorbeerblättern und Zwiebelschalen dahinter befand, die durch einen schwärzlichen Ölfilm am Fußboden angeleimt waren; hinter unserem Herd hätte man ein Picknick veranstalten können. Jetzt sah es dort wie in der Höhle des Putzdrachens aus.
    An diesem

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