Röslein rot
stille Existenz durch die Kunst der Malerei lebendig wurde. Wenn ihre realen Vorbilder längst in der Mülltonne gelandet waren, würden sie zukünftigen Generationen noch Geschichten vom heutigen Alltag erzählen.
Kaum war ich mit meiner Bügelarbeit fertig, als ich mir einen grauen Gurkentopf aus Steingut holte, den ein kobaltblaues Schnörkelornament schmückte. Der seitliche Lichteinfall modellierte Schatten und Wölbung; mit der Feder konnte man feinste Reflexe stricheln und dem bauchigen Leib zu Fülle und Glanz verhelfen. Eine reizvolle Aufgabe, dachte ich, wollte aber das Stilleben noch komplexer gestalten. Drei hölzerne Kochlöffel, die ich in den Topf steckte, ein blaukariertes Küchentuch als Unterlage, ein Sträußchen Lavendel und eine Handvoll Pflaumen erwiesen sich als ideale Zugaben für mein fast monochromes Küchenbild. Ich rückte die Objekte so lange zurecht, bis es zu spät zum Malen wurde, weil meine hungrigen Kinder hereinstürmten.
Als Reinhard abends die Küche betrat, schrie Lara auf, denn sein linker Arm war bandagiert und steckte in einer Schlinge. Auch ich wurde blaß. »Bist du vom Gerüst gefallen?« fragte ich, denn ich hatte am Anfang unserer Ehe häufig unter entsprechenden Phantasien gelitten.
»Vom Pferd«, sagte Reinhard und lachte etwas kleinlaut. »Silvia hat mich dazu überredet, auf ihren angeblich lammfrommen Gaul zu steigen. Kaum saß ich oben, ging das blöde Vieh mit mir durch.«
»Aber Papa, wir dachten, du bist bei der Arbeit!« sagte nun auch Jost interessiert.
Ja schon, aber um einen Reitstall perfekt zu planen und demnächst zu bauen, müsse man sich doch bei den tückischen Rössern einmal umschauen.
»Konntest du denn einarmig Auto fahren?« fragte ich besorgt.
Es sei keine Fraktur, beruhigte mich Reinhard, Silvia habe ihn sofort zum Radiologen gebracht. In ein paar Tagen könne der Verband abgenommen werden; das kurze Stück sei er selbstverständlich gefahren, er sei schließlich kein Krüppel.
Ohne linken Arm war er jedoch zu vielen Verrichtungen nur bedingt tauglich. Ich schnitt Reinhard das Fleisch und schmierte sein Butterbrot, Jost stieg zu ihm in die Badewanne und paßte auf, daß der Verband nicht naß wurde. »Papa, wir sind im Urlaub auch geritten, aber niemals heruntergefallen«, hörte ich ihn sagen.
Lara brachte mir die verdreckten Jeans und das blutbefleckte Hemd. Ich steckte alles unter heftigem Niesen in die Waschmaschine.
Mit schlechtem Gewissen rief Silvia an. »Tut mir furchtbar leid, alles meine Schuld. Ich hatte ihn gerade so weit, daß er Reitunterricht nehmen wollte...«
Davon wußte ich nichts.
Reinhard sei ein vorzüglicher Tennisspieler, sagte Silvia, da könne man doch voraussetzen, daß er auch an anderen Sportarten Gefallen fände. Der Reitverein habe zudem viele solvente Mitglieder, die ihn sicherlich das eine oder andere Häusle bauen ließen. »Vielleicht magst du auch...«, begann sie.
»Liebe Silvia, du weißt seit langem, daß mich keine zehn Pferde in einen Stall kriegen. Übrigens ahne ich jetzt, warum ich gestern so allergisch auf meinen eigenen Mann reagiert habe.«
»So sorry.« Silvia entschuldigte sich etwas zu ausgiebig.
»Du kannst nichts dafür«, behauptete ich. »Ein erwachsener Mann muß auf sich selbst aufpassen können.« Aber ich war mir in diesem Punkt nicht ganz sicher.
In dieser Nacht hörte ich meinen Mann zwar gelegentlich stöhnen, aber sicher nicht aus Lust. Geschieht ihm recht, dachte ich, muß er unbedingt fremde Gäule besteigen!
Reinhard ließ sich das Frühstück ans Bett bringen, und weil ihm das gut gefiel, beschloß er, überhaupt nicht aufzustehen. »Das war eine schlimme Nacht«, sagte er. »Sei so nett, Anne, und bring mir meine Unterlagen aus dem Büro, wenn du einkaufen gehst. Ich muß verschiedene Handwerkerrechnungen prüfen, das kann ich ebensogut zu Hause machen.« Ausnahmsweise war es mir recht, so konnte ich das Büro inspizieren.
Die Glaskugel stand auf dem Schreibtisch, als könnte sie kein Feuerlein schüren. Birgits Fotoalbum war verschwunden, auf dem schwarzen Ledersofa lagen keine Haarnadeln. Rasch hatte ich die angeforderten Papiere gefunden. Zuunterst lag eine Rechnung, die nicht an Reinhards Bauherren, sondern an ihn selbst gerichtet war: Birgit verlangte für stundenweise aufgelistete Sekretariatsarbeiten eine geradezu horrende Summe. Das können wir uns nicht leisten! dachte ich verdrossen. Andererseits hatte Reinhard nun schwarz auf weiß die Summe vor
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