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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Morgen gab es viel zu tun. Die Kinder hatten zwar noch Ferien, aber sie waren gleich nach dem Frühstück zu ihren Spielkameraden geradelt, um mit unserem italienischen Urlaub anzugeben. Ich schaute in alle Schränke, kramte in Schubladen, stöberte im Nähkorb herum, um immer wieder neue Beweise des schwiegermütterlichen Fleißes aufzuspüren. Bloß den Garten hatte sie vernachlässigt, aber für eine einzige Woche war Beachtliches geleistet worden. Ob sie es gut gemeint hatte und mir eine Freude machen oder aber mir zeigen wollte, wie es eigentlich immer auszusehen hätte - ich wußte es nicht genau.
    Jedes Jahr an Weihnachten kam Reinhards Mutter aus Backnang angereist und kochte dann zwei Wochen lang für die Familie, das heißt eigentlich nur für ihren Bub, den angebeteten Hardi. Alle seine Lieblingsgerichte kamen auf den Tisch, wobei Jost und Lara zwar für geschmälzte Maultaschen und Käsespätzle zu begeistern waren, aber die zweimal fälligen sauren Kutteln verabscheuten. Doch eigentlich hatte ich keinen Grund zur Klage, sie stellte keine besonderen Anforderungen und war von schweigsamer Art. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie Reinhard bekocht und geduldiger als ich auf seine späte Heimkehr gewartet hatte. Beim Anblick der von ihr selbst gehäkelten, inzwischen stark ergrauten Spitzengardinen war ihr wohl höchstens ein klagendes »Heidenei! Da geht mir's Zäpfle 'nunter!« entfahren, dann war sie zur Tat geschritten.

    Nachmittags wollte ich meine Freundinnen anrufen. Lucie war noch mit Gottfried und den vier Kindern im Urlaub, ich hätte es wissen müssen. Bei Silvia meldete sich nur die chronisch beleidigte Korinna. »Mama ist beim Pferdequälen«, näselte sie. »Soll ich etwas ausrichten?«
    Nein, ich würde mich wieder melden. Aus einer vagen Laune heraus wählte ich Birgits Nummer; eigentlich wollte ich nur ihre Stimme hören und gleich wieder auflegen. Der Anrufbeantworter spielte ein paar Takte Musik, dann kam eine männliche Stimme: »Bis Anfang September sind wir in unserem Ferienhaus zu erreichen.« Eine solche Ansage war ein gefundenes Fressen für Einbrecher. Birgits weitgereister Mann sollte so etwas doch wissen.
    Seit wann waren die Herrschaften im Ferienhaus? Ich öffnete Reinhards Schreibtischschubladen. Zehn volldiktierte Tonkassetten warteten auf eine fleißige Sekretärin. Wie praktisch wäre es, wenn meine Schwiegermutter tippen könnte. Nun würde ich über kurz oder lang wieder Reinhards Lieblingswort >delegieren< zu hören bekommen. Trotzdem war ich erleichtert.
    Eigentlich war ich wirklich ein Schafskopf, weil ich mir den Urlaub durch die ständige Vorstellung von Reinhards Schäferstündchen mit Birgit verdorben hatte, nicht ahnend, daß er diese drei Wochen ebenso unfreiwillig treu wie ich verbracht hatte.
    Aber irgend etwas stimmte trotzdem nicht. Warum hatte ich allergisch auf Reinhards Umarmung reagiert? Kein neues Aftershave stand im Badezimmer, kein unerprobtes Waschpulver im Keller, keine exotische Blume in der Vase. Ich schnüffelte an seinem Kopfkissen herum und mußte erneut niesen, allerdings nur einmal. Ein frischer Bezug war fällig. Heute abend sollte kein Mißgeschick passieren, falls Reinhard in meine Betthälfte wechseln wollte. Falls.
    Im Briefkasten lag ein größerer Umschlag, dessen auffallend kleine Beschriftung mich sekundenlang an Imke erinnerte. Rüdiger schickte uns viel schönere Aufnahmen als die von meiner Schwester. Einfühlsam die kleinen Eitelkeiten anderer Menschen bedenkend, hatte er wohl die schwächeren Bilder einfach aussortiert. Sollte ich Reinhard zeigen, wie hübsch und sonnengebräunt sich seine Familie auf der Strandpromenade ausnahm? Vorläufig lieber nicht; damit mir auch die Kinder keinen Strich durch die Rechnung machten, schob ich den Umschlag rasch unter meine Matratze.

    Im allgemeinen stelle ich beim Bügeln das Radio an oder schleppe mir das Plättbrett ins Wohnzimmer, um den Fernseher dabei laufen zu lassen. Diesmal hatte ich anderes im Sinn. Ich heftete meine Urlaubszeichnungen, Skizzen und Bildchen mit Stecknadeln an die Rauhfasertapete und betrachtete meine Werke, während die linke Hand automatisch die Wäsche glattstrich und die rechte das Eisen auf- und abgleiten ließ. Am besten gefielen mir die Federzeichnungen, die ich mit Aquarellfarben koloriert hatte und die mir origineller als meine früheren Hinterglasbilder erschienen. Die Welt stellte mir einen gigantischen Fundus zur Verfügung: Gegenstände, deren

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