Röslein rot
nicht verzeihen konnte, hatte gezeigt, wie empfänglich er für jede Anbetung war. Wahrscheinlich sollte ich ihn ebenfalls umschmeicheln.
Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war ein kundiger Bildbetrachter in der Lage, eine vordergründige Küchenszene als Predigt wider fleischliche Begierde zu interpretieren. Jeremias van Winghe hat wie viele seiner Kollegen den Küchentisch im Gasthaus mit guten Gaben gefüllt. In meiner eigenen Küche gibt es eine ähnliche Durchreiche wie auf dem Gemälde. Der Einblick ins Restaurant zeigt drei Herren, die sich die Wartezeit mit einem Brettspiel verkürzen. Die Kundschaft interessiert den Maler weit weniger als das Treiben in der Küche, denn hier dominiert das Fleisch in allen Variationen: das gerupfte cremefarbene Huhn, die rosa Lammkeule und die Küchenmagd, deren cremig-rosa Teint beide Farben wieder aufgreift. Das blütenweiße Hemd, das ihr Decollete nur notdürftig bedeckt, wird zwar von ihrer linken Hand zusammengehalten, sie ist aber dennoch in der Lage, die Wölbung der Brust kokett zur Schau zu stellen.
Ihre Rechte wehrt ebenso unentschlossen wie kraftlos den sie bedrängenden Mann ab, doch der Blick auf die Münze in seiner Hand beweist, daß ihr Freier das Spiel bereits gewonnen hat.
Das barocke Paar zeigt zwar deutlich seine Bereitschaft zum Sündenfall, aber das eigentlich Unanständige auf diesem Bild ist das Huhn. Auf dem Rücken liegend, die Schenkel hochgestreckt, bietet es sein aufgeschlitztes Hinterteil schamlos dar. Ebenso anschaulich beweist der verstohlene Griff eines kleinen Knaben nach einem rotwangigen Apfel die Parallele zum Paradiesgarten. Die üblichen Zutaten wie Kohl und Möhre erhalten in diesem Kontext eine lüsterne Bedeutung. Einzig der Fisch, der direkt vorm Auge des Betrachters auf einer einfachen Holzplatte ruht, deutet eine enthaltsame Möglichkeit an.
Hatte ich mich in jener Nacht ebenso lüstern verhalten wie die Magd, wie das Hühnchen, wie der kleine Apfeldieb? Nun, ich hatte mein Verlangen schließlich auf den eigenen Mann gerichtet, dessen Verführung selbst ein Moralapostel aus puritanischer Zeit mir nicht als Sünde angerechnet hätte.
Kurz nach dem sonntäglichen Mittagessen klingelte das Telefon. »Ich laß es läuten«, sagte ich, »es wird Ellen oder meine Mutter sein, ich rufe später selbst mal an.«
Reinhard sprang sofort auf. »Und wenn mein Büro abbrennt?« fragte er gereizt und lief an den Apparat, um mir gleich darauf zu winken. »Es ist Silvia«, sagte er kurz, blieb aber in Hörweite.
»Scheißwetter, auch bei euch?« fragte Silvia. »Ich bin seit gestern bei meiner Mutter in Rhede. Dummerweise habe ich meine Lesebrille vergessen, es ist zu blöd! Korinna und Nora behaupten natürlich, meine Vergeßlichkeit käme vom Fleischessen. Aber meine Töchter sind auch nicht besser, sie haben ihre Zahnspangen liegengelassen.«
Ich versicherte, das tue mir leid, und ich hätte gar nicht gewußt, daß sie bereits eine Brille brauche.
»Schließlich bin ich älter als du«, gab sie schnippisch zurück. »Aber wenn es hier ein Pferd gäbe, würde ich die Brille gar nicht vermissen. Könntest du mir einen riesigen Gefallen tun?«
Ich brummte ein »Was denn?« und stellte mich auf Blumengießen ein.
»Ich versuche schon den ganzen Vormittag, Udo zu erreichen. Gestern habe ich auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen, daß er zurückrufen soll, aber nichts tut sich. Es ist mir unverständlich, aber vielleicht ist der Apparat defekt. Morgen muß Udo auf Dienstreise, es ist wichtig, daß er uns vorher die Sachen schickt!«
Natürlich versprach ich, noch heute Udo zu besuchen und ihm die Botschaft auszurichten. Die Lesebrille befinde sich entweder auf ihrem Nachttisch oder beim Fernsehprogramm unter der Stehlampe im Wohnzimmer, und die Zahnspangen...
Aber wenn Udo nicht zu Hause war?
»Du weißt doch, wo der Hausschlüssel versteckt ist«, befahl mir Silvia. »Wenn er nicht aufmacht, geh bitte hinein und such die Brille! Und wenn Udo mal wieder besoffen im Bett liegen sollte, dann rüttle ihn wach!«
Ein bißchen verstimmt setzte ich mich wieder zur Familie an den Tisch. Reinhard sah mich fragend an, und ich berichtete.
»Eigentlich eine Zumutung«, urteilte er.
»Finde ich nicht«, sagte ich. »Was soll man in Rhede schon machen außer lesen! Aber es wäre mir lieber, du kämst mit.«
Ich hatte keine große Lust, mutterseelenallein an das Lager eines besoffenen Casanovas zu treten. Ein wenig hatte ich auch den
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