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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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sagte er. »Ich bin durch eine dringende familiäre Angelegenheit aufgehalten worden, Sie müssen vielmals entschuldigen«
    Und schon war er zur Tür hinaus.
    Mir ging ein Licht auf: Das Gespräch von heute nacht war ein Anruf gewesen.

Weiche Birne

    Wie sollte es nun weitergehen? Vielleicht wäre es immer noch leichter, mit Silvia als mit Reinhard zu sprechen, überlegte ich. Alle Männer, erst recht mein eigener, taten sich schwer, über ihr Gefühls- oder gar Sexualleben Auskunft zu erteilen. Waren sie einmal verletzt worden, dann pochten ihre Wunden jahrelang kaum wahrnehmbar, bis es plötzlich und unerwartet zu einem fürchterlichen Ausbruch kam.
    Warum log Silvia? Warum zog sie mich grundlos in den Dreck? Hatte ich ihr nicht jahrelang als Freundin zur Seite gestanden, wenn es galt, über Udos Pornosammlung oder die Spinnereien ihrer Töchter zu rätseln? Und als einzigen Lohn dafür hatte sie sich Reinhard unter den Nagel gerissen. Sie mußte schon immer eine Natter gewesen sein. Falls sie Udo tatsächlich umgebracht haben sollte, wünschte ich ihr die Pest an den Hals. Sollte sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Es ging jetzt um mich und meine Kinder.
    Wenn meine Verdächtigungen stimmten, war Silvia eine eiskalte Mörderin und Reinhard ihr Handlanger. Falls ich alles an die Öffentlichkeit brächte, kämen beide ins Gefängnis. Korinna und Nora, die ich von klein auf kannte und trotz ihrer pubertären Launen irgendwie mochte, müßten vater- und mutterlos aufwachsen, meine eigenen zwei könnten gelegentlich ihren Papa im Knast besuchen. Wollte ich das? Mir brummte die Birne.

    Melonen, Birnen und andere anspruchslose Dinge sind kunstvoll und wie zufällig auf einem Stilleben von Luis Melendez angeordnet. Um 1770 war es modern geworden, auf die allegorischen Inhalte weitgehend zu verzichten und nur noch die Ästhetik der Dinge sprechen zu lassen. Die an weibliche Formen erinnernde Birne wird in aller Harmlosigkeit und ohne Anzüglichkeit eingesetzt, die vielen Kerne der Melone - ein altes Fruchtbarkeitssymbol - bleiben unsichtbar.
    Das Licht fällt von schräg links auf das fast greifbar wirkende Obst, die genarbte Leberhaut der Melone, die reifen gelben Birnen. Dahinter verdeckt ein Leinentuch den Rest der Ernte im Weidenkorb, nur der ockerfarbene gekerbte Rand eines großen Waldpilzes lugt heraus und verrät den Inhalt. Einfaches, bäuerliches Küchengerät wie hölzerne Löffel und eine dickwandige Tonschüssel bilden in bräunlichen Farben einen Kontrast zum vitalen Vordergrund. Aber die Schönheit der Natur ist nicht makellos - keine einzige Birne ist ohne Schadstelle. Vom Baum gefallen, wurmstichig, madig. Von außen gerade noch appetitlich, aber im Gehäuse faulig-verdorben.

    Als meine Tochter von ihrem Übernachtungsbesuch zurückkam, sah sie müde aus und war einsilbig. Doch im Gegensatz zu mir hatte sie wohl die Nacht nicht mit Grübeln und Lauschen verbracht, sondern geschwätzt und gekichert. Als ich sie an mich drücken wollte, brach sie in Tränen aus. Erst Imke, dann ich, nun Lara - alle weiblichen Wesen schienen sich ausweinen zu wollen. »Schatz, was hast du denn?« fragte ich, aber sie machte sich steif in meinen Armen.
    »Du bist eine Hure«, schluchzte sie und rannte in ihr Zimmer. Völlig schockiert folgte ich ihr.
    Es dauerte ziemlich lange und erforderte sehr viel gutes Zureden, bis sie berichtete. Auf dem Heimweg war ihr Korinna über den Weg gelaufen und hatte sie gründlich über mein und ihres Vaters angebliches Treiben aufgeklärt.
    »Du hast mit Udo gebumst! Du hast den Papa betrogen!« klagte mein Kind mich an.
    Was half es, daß ich immer wieder schwor, das sei eine Lüge? Lara glaubte mir nicht. »Hör zu«, sagte ich, mindestens ebenso entsetzt wie sie, »Silvia erzählt dieses Märchen überall herum, das muß sofort ein Ende haben. Ich gehe jetzt auf der Stelle zu ihr und zwinge sie, ihre Beschuldigungen zurückzunehmen!«
    Laras kämpferische Natur gewann die Oberhand, sie wollte mitkommen, um die Familienehre zu retten.
    »Nein«, sagte ich, »das möchte ich nicht. Vielleicht gibt es Dinge, die sie mir nur unter vier Augen sagt.«
    Wie konnte Silvia nur so taktlos und unsensibel sein, die eigene Tochter mit hineinzuziehen. Wo sie sich außerdem denken konnte, daß Mädchen ihres Alters unter dem Siegel der Verschwiegenheit den Freundinnen alle Geheimnisse anvertrauen.
    Unverzüglich sprang ich ins Auto und raste los. Fast hätte ich eine rote Ampel überfahren. Der

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