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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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eigentlich längst im Büro sein müssen. Aber seine Nacht war wohl durch andere Aktivitäten verkürzt worden.
    Ich sprang wie ein Roboter aus dem Bett und lief mit wirren Haaren und ungeputzten Zähnen in die Küche. Von »Kindern« konnte nicht die Rede sein, Lara frühstückte bei ihrer Freundin. Nur Jost saß am Küchentisch und mampfte Cornflakes. »Mama, ich geh' jetzt mit den Rollerblades...«, sagte er und packte seine neueste Errungenschaft - Geschenk von Ellen - unter den Arm.
    Damit war das Thema Frühstück für mich erledigt; das Badezimmer schien jetzt der richtige Zufluchtsort. Erst als ich von dort aus die Haustür zuschlagen hörte, traute ich mich wieder heraus. Doch es war eine Finte gewesen: Reinhard erwartete mich mit aufgebrachter Miene in der Küche. Dabei müßte ich es sein, die zornig ist, dachte ich.
    »Wie kannst du ihm erlauben, mit diesen gefährlichen Dingern herumzusausen«, begann er.
    Ich führte an, daß seine Freunde ebenfalls...
    »Bloß weil es die anderen machen, soll man sich jedem Blödsinn anschließen«, sagte er. »Aber wenn deine tolle Schwester diesen Scheiß bezahlt, dann ist es natürlich wunderbar. Da kann dein Mann selbstverständlich nicht mithalten.«
    Von jetzt an sage ich kein Wort mehr, dachte ich, alles, was ich vorbringe, wird er mir im Mund herumdrehen.
    Aber Reinhard erwartete keine Verteidigung. »Als wir uns kennenlernten«, fuhr er übellaunig fort, »dachte ich, wir paßten ganz gut zusammen. Und jetzt zauberst du plötzlich eine reiche Schwester aus dem Hut und läßt dich von ihr aushalten. Und allen unseren Freunden bin ich auch nicht mehr gut genug!«
    Mein Schweigevorsatz war vergessen.
    »Du spinnst«, sagte ich. »Ellen hat keine Millionen. Und apropos Freunde - was ist mit Birgit und Mia? Die sind sich auch nicht zu fein, dich einzuspannen!«
    »Ich traue mich gar nicht erst, meine früheren Freunde von der Realschule oder aus der Lehrzeit einzuladen«, sagte er, »weil man sie vor deiner Arroganz schützen muß. Und ich weiß sehr wohl, wie du heimlich grinst, wenn ich mit meiner Mutter Dialekt rede! Bei euch ging es ja immer vornehm zu, Serviettenringe und Fischbesteck! Meine Mutter hat jahrelang als Fabrikarbeiterin geschuftet und es trotzdem fertiggebracht, selbstgemachte Spätzle auf den Tisch zu bringen!«
    Eine einzige Anklage. Ich verstummte wieder und fühlte mich schuldig. Von seiner Warte her war der Ausbruch nicht ganz unberechtigt: Mit Verständnis für ihn hatte ich in letzter Zeit nicht gerade geglänzt.
    Ihm fiel noch mehr ein. »Für dich bin ich ein unzivilisierter Bauer, gib es doch zu! Meine Entwürfe findest du häßlich, unser Haus ist dir nicht schick genug! Aber um jeden Monat das nötige Geld heimzubringen, dafür bin ich gerade gut. Statt froh zu sein, zum gemeinsamen Unterhalt etwas beizutragen und die Büroarbeit zu übernehmen, hältst du dich für eine Künstlerin und für zu fein, um die Tippse zu spielen. Malen gefällt einer höheren Tochter eben besser. Ja glaubst du etwa, ich hätte Lust auf diese ewige Tretmühle und Freude daran, diese Kästen zu bauen?«
    »Mit zwei Kindern, Haus und Garten bin ich voll ausgelastet«, protestierte ich, denn er hatte eine hochempfindliche Stelle getroffen, »irgend etwas im Leben muß man doch haben, was einem Spaß macht!«
    »Aha«, sagte Reinhard, »jetzt hast du dich verraten. An deiner Familie hast du also keinen Spaß!«
    Ich mußte mir mit geballten Fäusten die Tränen abwischen. Bei so vielen Beschuldigungen wurde es allmählich Zeit, das Thema Ehebruch zur Sprache zu bringen. Aber wie sollte ich geschickt damit beginnen, wo im Augenblick nur ein wirres Durcheinander in meinem Kopf herrschte? Sollte ich mit dem teuren Tennisklub anfangen, den er sich angeblich nur zum Wohl der Familie leistete? Oder mit meinem allergischen Anfall, als ich aus Ischia zurückkam? Ein klarer Fall von Pferdehaar in unserem Schlafzimmer... Doch bevor ich noch den Mund aufmachen konnte, entdeckte Reinhard die inzwischen verwelkten Vergißmeinnichtstengel auf dem Küchentisch. Ich hatte gestern über allen Aufregungen glatt vergessen, sie zum Pressen m ein dickes Buch zu legen.
    »Für Udos Grab«, mutmaßte er zynisch. »Wer hätte gedacht, daß du so romantisch bist!«
    In diesem Augenblick, als ich endlich auch mit ihm abrechnen wollte, piepste es aus Reinhards Aktentasche. Zu meinem Befremden nahm er ein Handy heraus, das ich noch nie gesehen hatte. »Ja natürlich, ich komme sofort«,

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