Röslein rot
geholt. Silvia zuckte im übrigen bei der Erwähnung des Reizwortes nicht mit der Wimper, sondern antwortete mit schneidender Höflichkeit: »Extra deinetwegen habe ich Kaffee gekocht, und nun läßt du ihn stehen. Tut mir leid, außer Apfelmost haben wir keinen Saft im Haus.«
»Als wir hier waren, um deine Brille zu suchen«, sagte ich, »war mir aber so, als hätte ich Grapefruitsaft gesehen.«
»Wo?« fragte Silvia mit hochgezogenen Brauen.
Mich überkam wieder große Feigheit, und ich murmelte: »Weiß nicht, vielleicht im Keller!«
Meine ehemalige Freundin stand auf, ich solle mitkommen, vielleicht könne ich ihr den Saft ja zeigen. Die ganze Zeit hatte sie mich nicht direkt angesehen, jetzt traf mich ein vernichtender Blick.
Ich ahnte nichts Gutes, als sie mir auf der steilen Treppe den Vortritt ließ. Gerade wollte ich die zweite Stufe betreten, als mir ein Besenstiel zwischen die Füße geriet, so daß ich die dunkle Treppe hinunterfiel.
Unten rang ich nach Luft, bis ich vor Schmerz und Wut laut schrie. Nichts rührte sich. Nach einigen Minuten versuchte ich aufzustehen, was mir auch mühsam gelang. Ich schaltete das Licht an und humpelte in panischer Angst wieder die Stiege hinauf. Wie hatte ich nur so dumm sein können, ohne Begleitung ins Haus einer Mörderin einzudringen.
Die Kellertür war nicht abgeschlossen, und Silvia war nirgends zu sehen. Mit zusammengebissenen Zähnen schleppte ich mich zum Auto. Mir taten alle Knochen weh. Ich fuhr sehr langsam, ich konnte kaum die Kupplung treten und fluchte dabei lauthals.
Lara war so neugierig, daß sie mir die Haustür öffnete, noch bevor ich den Schlüssel herausgezogen hatte.
Forschend sah sie mich an. Ich hinkte zum Sofa und ließ mich fallen. »Wie siehst du denn aus!« rief sie. »Hast du einen Unfall gehabt?«
»So kann man es auch nennen«, sagte ich. »Silvia hat mich die Kellertreppe hinuntergestoßen.«
Meine Tochter stutzte; sie überlegte wohl, ob Silvias Wut ein Beweis für meine Schuld war.
»Wahrscheinlich hat Udo sie angelogen«, jammerte ich, »denn sie glaubt tatsächlich, ich hätte etwas mit ihm gehabt! Leider kann ihn jetzt keiner mehr zur Rede stellen.«
Lara wurde angesichts meines Elends butterweich. Ob sie mir einen Kräutertee kochen solle? Ich bat darum, außerdem sollte sie den Verbandskasten bringen und meinen Fuß mit einer elastischen Binde umwickeln. Eine Schmerztablette mußte ebenfalls her. Unverhofft wurde ich von meiner zehnjährigen Tochter umsorgt, als sei ich ihr Baby. Es tat unendlich gut, aber andererseits wußte ich, daß Lara mit dieser Rolle überfordert war. Deswegen war es mir recht, als Jost und Lara wenig später schließlich davonradelten, um Buntpapier und Malblocks zu kaufen. Weil ich nicht den gleichen Fehler wie Silvia machen wollte, schärfte ich Lara ein, nichts - aber auch wirklich nichts - über meinen Unfall, dessen Ursache und über Silvias Lügen weiterzuerzählen. »Aber der Susi...«, begann Lara, doch ich schüttelte so energisch den Kopf, daß sie verstummte.
Nicht nur der Fuß tat mir weh, auch mein Schädel brummte. Wahrscheinlich würden erst morgen blaue Flecke zutage kommen, daß ich mich schämen müßte, unter Menschen zu gehen. Am Ende würde man denken, Reinhard habe mich verprügelt. Sollte ich mich von Ellen oder Lucie trösten lassen? Ich griff zum Hörer und ließ ihn wieder sinken. Dann suchte ich im Telefonbuch Imkes Nummer heraus.
Sie meldete sich mit einem leisen »Ja?«.
Ich fragte nach ihrem Befinden, ohne vom meinigen zu sprechen. Ob sie sich noch an weitere Beobachtungen erinnere, die sie mir bis jetzt nicht mitgeteilt habe?
»Ich weiß nicht, ob es wichtig ist«, sagte sie. »Kürzlich habe ich bei Silvia durchs Fenster geschaut, als Reinhard dort war. Aber sie haben sich nicht geküßt. Wahrscheinlich, weil die beiden Mädchen im Haus waren.«
»Was haben sie gemacht?« fragte ich und schämte mich meiner voyeuristischen Frage.
»Sie haben ein Bild abgehängt, das mit den Sonnenblumen. Dahinter ist ein Safe. Aber sie haben ihn nicht aufgekriegt, Silvia hat lange im Schreibtisch herumgewühlt, wohl um eine Codenummer zu finden.« Ich wollte wissen, ob es vor oder nach Udos Tod war.
»Natürlich danach«, sagte Imke mit so ausdrücklicher Betonung, als habe sie alle Zusammenhänge längst durchschaut.
Mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß ein psychisch labiles Mädchen für mich Spionagedienste leistete.
»Weiß deine Therapeutin, daß du
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