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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Schreck über meine eigene Unvorsichtigkeit ließ mich ein wenig zur Besinnung kommen. Es galt jetzt, keine taktischen Fehler zu machen. Ich bekam es mit der Angst zu tun und hätte es fast begrüßt, wenn weder Silvia noch ihre Töchter zu Hause gewesen wären. Und was sollte ich tun, wenn Reinhard gerade dort war?
    Vom oberen Stockwerk hörte ich Musik aus den offenen Fenstern der Mädchen herausdröhnen. Silvia machte sofort die Tür auf und ließ sich ihre Verwunderung über meinen Besuch nicht anmerken. »Komm rein«, sagte sie, »Kaffee oder Tee?«
    Gut erzogen antwortete ich: »Kaffee, wenn's dir keine Mühe macht.«
    Sie vermied es, mich anzusehen, verschwand in ihrer Hightechküche und stellte eine riesige italienische Kaffeemaschine an. »Du kannst dir kaum denken, wie anstrengend die letzten Tage waren«, rief sie zu mir herüber, »bis man alle Papiere für die Beerdigung beisammen hat! Die Kinder müssen getröstet, die Verwandten beköstigt werden - zum Glück hast du das noch nie mitgemacht!« Sie lief zum Schrank, um Tassen zu holen. »Zucker und Milch?«
    »Schwarz«, sagte ich finster.
    Während sie lange nach schottischem Shortbread suchte, es schließlich fand und übertrieben adrett in einer Silberschale anordnete, schaute ich mich um. Zwar war ich schon häufig bei Silvia gewesen, hatte aber ihre Wohnung noch nie mit den Augen einer betrogenen Ehefrau betrachtet.
    »Unser Haus ist dir nicht schick genug«, hatte Reinhard mir neulich vorgeworfen. Dabei haßte ich jenen modischen Schick, der nur Geld bedeutete und Individualität vermissen ließ. Der affige Country-Stil - geblümte Überwürfe auf riesigen Daunensofas - war mir noch unangenehmer als unsere Holzfälleridylle. Ich stand auf und rückte ein schief hängendes Sonnenblumenbild zurecht. Ob sich dahinter wohl irgendein Versteck befand? Von allem Designermist befreit, wäre dieses Haus wohl sehr schön: weite, lichte Räume, ein wunderbarer Fernblick auf die Rheinebene, alte Nußbäume im Garten. Für die bogenförmigen hohen Fenster aus großbürgerlicher Zeit hatte ich mich schon immer begeistert.
    Silvia brauchte lange in der Küche - selbst beim Kaffeekochen hatte sie sich immer von Udo bedienen lassen. Es war eine Weile ganz still, bis auf die wummernden Bässe aus den Kinderzimmern.
    Als sie schließlich doch den Kaffee servierte und mir taktloserweise auch noch Milch hinstellte, faßte ich mir endlich ein Herz. »Lara kam gerade völlig aufgelöst nach Hause«, sagte ich, »sie hat Korinna auf der Straße getroffen. Und deine Tochter hat behauptet, ich hätte ein Verhältnis mit Udo gehabt. Angeblich hast du ihr das gesagt!«
    Silvia wurde rot und schien zu überlegen, ob sie alles abstreiten sollte. Doch dann äußerte sie in trotzig-aufbegehrendem Ton, schließlich sei es die Wahrheit. Über kurz oder lang würden unsere Kinder sowieso alles von Fremden erfahren, also könne man es ihnen auch gleich selbst sagen. Ihre Worte machten mich so betroffen, daß mir der Mund offenstehen blieb.
    »Aber Silvia, ich bitte dich, kein Wort davon ist wahr. Udo hätte vielleicht Lust auf ein Techtelmechtel gehabt, aber ich als deine Freundin hätte nie im Leben...«
    Silvia stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Hör auf damit, Anne, ich kann ihn zwar nicht mehr fragen, aber ich habe Beweise dafür!«
    Das konnte nicht stimmen. Ich verhörte Silvia wie eine Delinquentin, ich beschwor sie leidenschaftlich - sie blieb bei ihrer Version. »Und weil du diesen Unsinn glaubst«, sagte ich wütend, »hast du dich an Reinhard 'rangemacht.«
    Die bis dahin leicht eingeschüchterte Silvia wurde plötzlich wieder ladylike-selbstbewußt und leugnete nichts. Fast schien es, als sei sie stolz auf die eigene Konsequenz. »Das war nicht mehr als recht und billig«, sagte sie kühl, »eine Art Lastenausgleich.«
    Ich rührte und rührte in meinem zuckerlosen Kaffee und traute mich plötzlich nicht mehr, den bitteren Trank zu probieren. Sollte ich jetzt das Gift im Grapefruitsaft zur Sprache bringen? Ich setzte eine ebenso damenhafte Miene auf wie sie, aber mich ritt der Teufel, als ich meine Bitte vortrug. »Ich könnte in den letzten Tagen trinken und trinken, ich glaube beinahe, ich werde zuckerkrank wie meine Großmutter. Der Kaffee löscht den Durst nicht richtig. Ob du so lieb bist und mir ein Glas Pampelmusensaft bringst?«
    So gepflegt hatten wir noch nie miteinander geplaudert. Früher hätte ich mir einfach ein Glas Mineralwasser aus der Küche

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