Röslein rot
einmal zuviel. »Es ist nicht gut, wenn er dich hier bei mir antrifft«, sagte ich, »sei so lieb und erzähle keinem anderen von deinen Beobachtungen. Aber wenn dir noch etwas Wichtiges einfällt, dann ruf mich an! Ich bin tagsüber meistens allein zu Hause.«
Sie habe ganz genau zugehört, sagte sie, wie das Paar mehrmals betont habe: »Sie weiß von nichts!« Damit habe man sicherlich mich gemeint. »Ich kann ihn aber jetzt nicht mehr überwachen«, schloß Imke, »ich arbeite wieder im Krankenhaus!«
Damit verabschiedete sie sich; ich umarmte sie herzlich und fing nun meinerseits an zu weinen.
Die drei Vergißmeinnicht lagen auf dem Küchentisch und sahen mich an. Wer weiß, wie viele Liebesleute sich dieses Blümchen gemalt, gepreßt, geschickt haben, auf wie vielen Ringen, Medaillons und Broschen es verewigt wurde, welche Treueschwüre ein kleines blaues Blümchen in vielfältiger Weise symbolisieren mußte!
In einem zierlich geflochtenen Körbchen hat Ambrosius Bosschaert der Ältere die schönsten Gartenblumen angeordnet, mit Schmetterlingen, Bienen und einer Libelle belebt und in heiteren Farben auf eine Kupfertafel gemalt. Rosen, Nelken, Tulpen, Alpenveilchen, Maiglöckchen, Hyazinthen, Akelei und ein Stiefmütterchen finden sich zu einem duftigen weiß-rosa-blau-gelben Frühlingsreigen zusammen. Ganz am Rand und im Hintergrund stecken ein paar bescheidene Vergißmeinnicht, unauffällig und blaßblau, aber mit vielen winzigen Blüten als liebevolle Erinnerung an Treue und Beständigkeit.
Vermutlich war dieses fein gemalte Bild eine Auftragsarbeit, denn es gab damals Sammler und Botaniker, die ihre Züchtungen für alle Ewigkeit konservieren wollten. Ich bewahrte also eine uralte Tradition, wenn ich ein Stilleben nach speziellen Wünschen anfertigte, und das blaue Blümchen war damals so aktuell wie heute.
Vergißmeinnicht - flüsterte ich vor mich hin. Heute würde man »Vergißmichnicht« sagen. Ich erinnerte mich an ein altes Volkslied: »Mein Herz, das leit in Kummer, daß mein vergessen ist!« Da hatten wir ihn wieder, ein alter Genitiv! Ich nahm die Blümchen erneut in die Hand und grübelte.
Das Vergißmeinnicht ist eine Blume für Scheidende, dachte ich bitter, und es gilt jetzt für mich, Abschied zu nehmen. Ein Leben als Ehefrau an Reinhards Seite war unmöglich geworden.
Und dennoch hatte ich panische Angst davor, Reinhard entgegenzutreten und in aller Deutlichkeit sagen zu müssen: »Du betrügst mich mit Silvia und hast ihr geholfen, Udo umzubringen.« Wie würde er reagieren? Vermutlich alles abstreiten. Aber wie sollte er es auf Dauer verheimlichen, falls er vorhatte, auch in Zukunft ihr Liebhaber zu sein?
Ich mußte ihm Beweise vorlegen. Für den Ehebruch bot sich zwar Imke als Zeugin an, konnte aber durch ihre psychische Erkrankung nicht als zuverlässig eingestuft werden. Um den Mord nachzuweisen, hatte ich immerhin einen Rest giftigen Grapefruitsaft im Keller versteckt. Aber sowohl Reinhard als auch Silvia würden behaupten, daß diese Flasche nie auf Udos Nachttisch gestanden hatte. Ich hatte schlechte Karten. Andererseits konnte ich es mir nicht vorstellen, mit einem Mörder das Bett zu teilen, mit ihm die Mahlzeiten einzunehmen und ihn mit den Kindern spielen zu lassen.
Silvia und Reinhard auf Heu und auf Stroh: Es war wirklich der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Dabei fiel mir das Baugerüst ein, auf dem ich zum ersten Mal Gefallen am Liebesakt gefunden hatte. Vielleicht war es Silvia so ähnlich zwischen Gerstenkörnern, Reitstiefeln und Satteldecken ergangen. Was weiß man in Wahrheit vom Liebesleben einer Freundin? War sie leidenschaftlich? Brannte sie lichterloh in Reinhards Armen? Heu und Stroh würden sicher auch ganz gut brennen, vielleicht sollte ich die Glaskugel noch einmal auf die Probe stellen.
Laut Imke liebten sie sich am Vormittag - wahrscheinlich, weil dann wenig Betrieb war. Unter Umständen konnte es Silvia so einrichten, daß sie beim Stalldienst mit Reinhard allein war. Trotzdem schlossen sie sich ein. Ich müßte von außen einen Riegel vorschieben, um die beiden dingfest zu machen. Wie sollte ich das anstellen? Imke hatte berichtet, daß sie nur durch eine kleine Ritze hineinsehen konnte. Also gab es kein Fenster, durch das die Sonne ihre gefährlichen Strahlen hätte senden können. Ganz abgesehen davon, daß Reinhard sofort wüßte, wer ihm die Glaskugel ins Nest gelegt hätte.
Die Kinder kamen heim und hatten Hunger. Bald würde auch Reinhard
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