Röslein rot
Reinhard observiert hast?« fragte ich.
Nein, meinte Imke, schließlich brauche sie nicht über jeden Schritt Rechenschaft abzulegen.
Kaum hatte ich mich bedankt und das Gespräch beendet, verließ mich wieder aller Mut. Es ging also um Geld, wobei Silvia ausgesorgt hatte: Wertpapiere, Bargeld, Immobilien -alles war im Überfluß vorhanden. Sie konnte es wohl nicht erwarten, es mit vollen Händen auszugeben. Bestimmt hatte sie auch Reinhard mit Geld geködert.
Ob ich in Gefahr war? Es war dumm gewesen, den Grapefruitsaft zu erwähnen. Falls Silvia ahnte, daß ich ihr auf die Schliche gekommen war, würde sie mit mir ebenfalls kurzen Prozeß machen, sie hatte es gerade bewiesen. Niemals hätte ich ihr zugetraut, daß sie mich hinterrücks angreifen würde. Frauen machen so etwas nicht, davon war ich bis jetzt überzeugt gewesen.
Als das Telefon klingelte, geriet ich in Erregung. Ob es Silvia war? Reinhard? Imke mit weiteren Meldungen? In Wahrheit war es meine Mutter. »Mäuschen, man hört so gar nichts von euch, hoffentlich ist alles in Ordnung?« fragte sie.
Doch, doch, sagte ich, alles okay, nur viel Arbeit. Am vertrauten Surren konnte ich hören, daß sie das kranke Bett in sitzende Position hochfahren ließ. Also wollte sie es sich für einen längeren Schwatz gemütlich machen. »Was wünschst du dir zum vierzigsten Geburtstag?« fragte sie.
»Aber Mutter, bis dahin dauert es noch unendlich lange!« rief ich fassungslos.
»Gut Ding will Weile haben«, behauptete sie.
Mir kam ein alter Hitchcock-Film in den Sinn, »Das Fenster zum Hof«. Wegen eines gebrochenen Beins ist ein Pressefotograf zur Untätigkeit gezwungen und beobachtet von seinem Zimmer aus verdächtige Umstände, die auf einen Mord schließen lassen. Mein Fuß tat zwar weh, aber ich konnte ihn etwas bewegen. Anscheinend war er nur verstaucht. Aber trotzdem mußte ich mich wohl in den nächsten Tagen schonen und war wie James Stewart ans Haus gefesselt. Ob das eine Falle oder eine Chance für mich war? Jedenfalls hatte ich Ruhe, um ein wenig nachzudenken. Niemand konnte von mir erwarten, daß ich um halb acht das Abendessen auf den Tisch brachte.
Wann mochte die Affäre zwischen Reinhard und Silvia angefangen haben? Als ich mit den Kindern und Ellen verreist war? Man soll seinen Mann nicht drei Wochen lang allein lassen, hatte meine Mutter mißbilligend kommentiert. Aber auch die mysteriöse Rechnung aus dem Schlemmerlokal war bis heute nicht geklärt. Vielleicht hatte Silvias Bescheid über den Reithallenauftrag von vornherein nur als Alibi für ein tägliches Stelldichein im Stall gedient.
Und was war mit Udo? Wie kam Silvia zu ihrem Verdacht? Sie mochte ein neues Rasierwasser als Indiz für einen Seitensprung angesehen haben; eventuell erschien ihr auch ein Mädchen in einem aufgeblätterten Magazin, das mir etwas ähnlich sah, als Nachweis für Udos Präferenzen. So reimte ich mir zusammen, wie sie durch eine Fülle falschinterpretierter Informationen zu einem absurden Trugschluß gekommen war, an den sie schließlich selbst glaubte. Fremd waren mir solche Gedankengänge ja selber nicht. Aber immerhin hatte ich meistens den richtigen Riecher gehabt.
Ebensogut war jedoch denkbar, daß Udo tatsächlich für eine Traumfrau entbrannt war und Silvia zwar ahnte: »Er hat wieder eine«, sich aber in der Person irrte. - Nein, ich sollte nicht versuchen, sie zu verteidigen oder gar zu verstehen; selbst bei einer zwar eingebildeten, aber nachvollziehbaren Kränkung hatte sie sich mir gegenüber unverschämt und aggressiv verhalten.
Weil ich mir weder Block noch Bleistift holen mochte, angelte ich Josts Ranzen unter dem Tisch hervor. Mit einem angekauten Buntstift schmierte ich in ein halbvolles Rechenheft:
1. S. hat Udo umgebracht
2. S. hat mir Reinhard weggenommen
3. S. hat herumposaunt, ich hätte es mit Udo getrieben
4. S. hat mich zu Fall gebracht
Mehr fiel mir nicht ein, aber das reichte ja wohl für die Todesstrafe. Oder meinetwegen lebenslänglich, beschloß ich großmütig, schließlich waren wir miteinander verwandt.
Schachmatt
Klar und elegant präsentiert der französische Barockmaler Lubin Baugin sein Stilleben von den fünf Sinnen. Hier wird nicht mit der Fülle überbordender Utensilien oder Materialien geprotzt, es geht streng und kühl-belehrend zu. Drei rosarote Nelken stehen in der durchsichtigen Kugelvase, nicht etwa ein holländischer Prachtstrauß. Eine Laute überdeckt zur Hälfte ein Notenbüchlein und zeigt
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