Röslein stach - Die Arena-Thriller
Angst, ich erzähle es keinem.«
»Danke.« Antonia putzte sich noch einmal die Nase, dann meinte sie: »Was ich nicht verstehe: Wieso regt Ralph sich so darüber auf, dass ich ausgezogen bin? Ich war ihm doch immer nur lästig. Ich dachte, er würde froh sein, dass ich weg bin.«
»Es geht um Kontrolle«, antwortete Herr Petri. »Dieser Typ hat wahrscheinlich ein ganz mickriges Ego. Um das zu verbergen, möchte er, dass alles nach seiner Pfeife tanzt. Du hast dich dieser Kontrolle entzogen und ihm gezeigt, dass du von ihm unabhängig bist. In seinen Augen hat auch deine Mutter einen Vertrauensbruch begangen, weil sie dich hinter seinem Rücken gehen ließ und ihn vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Das wurmt ihn, nicht, dass du jetzt weg bist. Und deshalb muss er deine Mutter nun erst recht kleinhalten. Damit sie ihm nicht auch noch entgleitet.«
»Er wird sie also wieder schlagen?«
»Höchstwahrscheinlich«, antwortete er. Er sah sie ernst an und fügte hinzu: »Und du kannst ihr nicht helfen. Da muss sie ganz alleine wieder raus. Tut mir leid, ich hätte dir gerne etwas Tröstlicheres gesagt. Aber ich möchte dir ja keinen Sand in die Augen streuen.«
»Schon gut. Ich habe mir so was schon gedacht.«
»Ja, du bist ein kluges Mädchen. Es ist gut für dich, dass du diesem Einfluss entkommen bist. Pass aber auf, dass nicht irgendjemand die Stelle von Ralph einnimmt.« Wie meint er das denn?, fragte sich Antonia, aber er war schon bei einem anderen Thema. »Wenn du ein Fahrrad brauchst, im Schuppen steht ein altes. Man müsste ein paar Dinge daran reparieren, aber ich würde es dir wieder herrichten.«
Er bedankte sich für den Kaffee und das Gespräch und stand auf. Antonia begleitete ihn zur Tür, wo er wieder in seine Arbeitsschuhe schlüpfte. Es hatte aufgehört zu regnen, nun kam sogar die Sonne heraus. Tropfen glitzerten an den Blättern wie Diamanten. Der Garten hatte sich seit Samstag verändert wie eine Frau nach dem Besuch eines guten Friseurs. Die Stauden mussten sich nicht mehr durch Unkraut kämpfen, die Fläche wirkte größer und aufgeräumter, aber längst nicht so armselig und steril wie der klägliche Garten vor Ralphs Haus. Darüber nachdenkend bemerkte Antonia ein Mädchen, das an der Gartenpforte stand und etwas unschlüssig zu ihnen herübersah. Sie hielt eine zerfledderte Sporttasche aus Stoff in der linken Hand, trug Jeans und einen Kapuzenpulli, der nass und mindestens zwei Nummern zu groß war. Lange dunkle Locken fielen ihr bis über die Schultern. Was wollte sie hier? War sie eine Bekannte von Matthias oder Robert?
Auch Herr Petri hatte die Besucherin nun bemerkt und sich umgedreht.
Antonia flüsterte ihm zu: »Könnten Sie sie fragen, was sie will? Ich möchte lieber nicht raus, ich sehe so verheult aus.«
»Ja, sicher«, nickte der Gärtner und ging auf das Mädchen zu. Antonia zog sich ins Haus zurück, beobachtete aber vom Fenster des Esszimmers aus, wie sich die beiden an der Pforte unterhielten. Es war ein längeres Gespräch, bei dem beide gestikulierten. Fast sah es nach einem Streit aus. Am liebsten hätte Antonia das Fenster geöffnet, aber sie wollte nicht beim Lauschen entdeckt werden. Schließlich entfernte sich das Mädchen und auch der Gärtner verschwand wieder aus Antonias Sichtfeld.
Sie hielt es nicht länger aus vor Neugierde und fand Herrn Petri im Schuppen, vor dem Fenster. Davor waren auf einem improvisierten Holzregal etliche Gläser und Töpfe aufgereiht, die mit Erde oder Wasser gefüllt waren. Aus manchen spitzelte etwas Grünes hervor.
»Was wollte die denn?«
»Nichts«, kam es kurz angebunden.
»Für ›nichts‹ haben Sie sich aber ganz schön lange mit ihr unterhalten. Kennen Sie sie?«, forschte Antonia, die sich mit dieser knappen Antwort nicht zufriedengeben wollte. Was sie gesehen hatte, hatte sie gesehen!
»Sie hat gefragt, ob hier noch ein Zimmer frei wäre. Ich habe ihr gesagt, dass keines frei ist, und dann fing sie an, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen und warum sie unbedingt ein Zimmer bräuchte, und ich sagte, alles schön und gut, aber hier ist keines frei, und dann bin ich sie endlich losgeworden.« Herr Petri schien etwas ungehalten.
»Ah so. Danke.« Antonia machte kehrt. Ein Zimmer… Hatten sie sich nicht neulich darüber unterhalten, dass man das Dachzimmer unter der Hand vermieten könnte? Wenn dieses Mädchen so dringend ein Zimmer brauchte, dann würde ihr die Hitze da oben ja vielleicht nichts ausmachen.
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