Röslein stach - Die Arena-Thriller
ihn hämisch den schönen Leo und später dann den Blutmaler. Sein Privatleben wurde ans Licht gezerrt und ausgebreitet. Er war wenige Monate zuvor geschieden worden, aber wohl auch vorher schon kein Musterehemann gewesen. Einige Exgeliebte kamen in den Boulevardblättern zu Wort und alle wollten irgendwie gespürt haben, dass mit ihm »etwas nicht stimmte« oder »unheimlich« war. Was genau sie so beunruhigt hatte, wurde aber von keiner benannt.
Aber nicht nur für die Presse, auch für die damaligen Ermittler schien seine Schuld von Anfang an festzustehen. Die Mitbewohner der alten Villa am Steinbruch waren verhört worden, ebenso die Partygäste: Steinhauers Studenten und ein paar Professoren und deren Gattinnen. Man hatte am Abend vor dem Mord Steinhauers vierzigsten Geburtstag mit großem Tamtam gefeiert. Die Fragen beschränkten sich im Großen und Ganzen auf den Verlauf des Abends. Natürlich war dies das Erste, was in so einem Fall zu tun war, erkannte Petra, aber danach hätte man doch in die Tiefe gehen und bei jedem einzelnen Gast nachbohren müssen, in welcher Beziehung er tatsächlich zu Steinhauer stand. Ob der Maler zum Beispiel mit einer der Professorengattinnen mal was gehabt hatte. Ob einer der jungen Männer vorher mit Sonja liiert oder noch in sie verliebt war. Ob die vier eingeladenen Meisterschüler ihren Lehrer wirklich uneingeschränkt bewunderten. Und die Professoren-Kollegen: Das waren doch alles selbst Künstler, ihnen musste Steinhauers Erfolg als Maler doch gallenbitter aufgestoßen sein. Gab es vielleicht sonst jemanden, der Steinhauer hasste, jemand, der gar nicht eingeladen worden war? All das war nicht zur Sprache gekommen oder stand zumindest in keinem der Protokolle. Nicht einmal Steinhauer selbst hatte vor den Ermittlungsbeamten einen Verdacht geäußert. Der damalige Leopold Steinhauer wirkte auf die Kommissarin, als wäre er ein ziemlich arroganter Typ gewesen. So selbstverliebt, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass ihn jemand hasste.
Und was war mit Sonja? Petra blätterte weiter in den Protokollen, die alle noch mit der Schreibmaschine getippt worden waren und einen vergilbten Rand hatten. Aus Sonjas Umfeld war kaum jemand befragt worden, der nicht auf der Party gewesen war. Nur ihre Mutter, Irene Kluge, und ihre Großmutter, Friederike Riefenstahl, aber die beiden wussten wenig über den Alltag und das Liebesleben von Tochter und Enkelin. Beide sagten, Sonja wäre eine fleißige, gewissenhafte Studentin gewesen, die keine Drogen nahm und auch sonst nicht über die Stränge schlug. Sonjas Eltern waren seit 1978 geschieden, der Vater lebte in Spanien und hatte seine Tochter höchstens einmal im Jahr besucht. Die Mutter hatte einen neuen Lebensgefährten, der womöglich der Grund war, weshalb Sonja bald nach ihrem achtzehnten Geburtstag in die WG am Lindener Berg gezogen war. Das stand zwar so nirgends geschrieben, aber Petra las es zwischen den Zeilen des Vernehmungsprotokolls der Mutter. Sonja hatte also vor ihrer Ermordung zwei Jahre lang in der WG gewohnt. Hatte sie während dieser Zeit einen Freund gehabt oder mehrere?
Petra betrachtete ein Foto von Sonja, das kurz vor ihrem Tod an einem Badesee aufgenommen worden war. Sie saß in einem gelben Bikini im Schneidersitz auf einer Decke und lächelte in die Kamera. In der Hand hielt sie eine Eiswaffel. Schlanke Figur, aber nicht zu mager, langes blondes Haar, offener Blick aus strahlend blauen Augen – ein fleischgewordener Männertraum. Petra erinnerte sich an ein Mädchen aus ihrer damaligen Schulklasse, das Sonja ein wenig ähnlich sah. Sie war sogar einmal »Miss Hannover« geworden. Alle Mädchen der Schule hatten sie abgrundtief gehasst, einschließlich Petra.
Es gab eine Manuela Pavlik, die sich als »beste Freundin« von Sonja bezeichnete. Sie hatte sich abfällig über die Beziehung zwischen Sonja und Steinhauer geäußert. Er sei doch ein stadtbekannter Weiberheld und Sonja nur eine seiner Trophäen. Und sie, Manuela, fände es doof von Sonja, dass sie sich einen Sugardaddy hielt.
So viel zum Thema »beste Freundin«, dachte Petra. Manuela hatte die Party gegen zwei Uhr verlassen. Es habe keinen Streit zwischen Steinhauer und Sonja gegeben, im Gegenteil, die zwei hätten »ekelhaft rumgeknutscht«, wie Manuela sich ausdrückte. Petra gab einen verärgerten Knurrlaut von sich, als sie bemerkte, dass die Befragung an dieser Stelle endete. Verdammt, warum hatte man diese Manuela nicht nach Sonjas
Weitere Kostenlose Bücher