Roeslein tot
Anni sagte nichts und träumte weiter vor sich hin.
Unterdessen bekam der Sepp in der Gärtnerei unerwarteten Besuch. Der Kühlergrill einer schwarzen Limousine lugte argwöhnisch um die Ecke des kleinen Gewächshauses und blieb wenige Zentimeter vor dem Fahrzeugschuppen stehen. Der Wagenschlag öffnete sich mit einem sanften Seufzer, und der Buchenwalder stieg aus. Er warf energisch die Türe zu, die mit einem satten, volltönenden »Rumms« ins Schloss fiel.
Der Sepp machte gerade einen Rundgang durch das Rosenquartier. Er war sehr zufrieden mit seinen Pflanzen und sehr unzufrieden, dass ihn hier jemand störte. »Ned amoi am heilgen Sonntog hot ma sei Ruah«, murrte er und knirschte verdrossen mit den Zähnen.
Der Buchenwalder war wirklich der Allerletzte, auf den der Sepp in diesem Augenblick neugierig war. Schnösel wie ihn hasste er von allen Leuten am meisten, obwohl der Buchenwalder ihm bis dahin persönlich keinen konkreten Anlass dazu geboten hatte. Das hat er an besagtem Sonntag aber gleich nachgeholt. Er baute sich vor dem Sepp auf und ging mit Siegessicherheit in den Augen auf ihn los: »Tut mir leid, dass ich Sie am Sonntag störe. Aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter heute Morgen vor der Kirche meinen Wagen beschädigt und danach Fahrerflucht begangen hat.«
»Bschädigt, soso, der siagt ober no ziemlich ganz aus.«
Der Buchenwalder schob den Sepp zum Auto und zeterte: »Hier, sehen Sie sich das an!«
»I siag nix«, brummte der Sepp. Trotz meiner Nähe zum Auto sah ich auch nichts.
Da hätte man wohl ein Fernrohr gebraucht.
» Hiiier! Sind sie blind?«, quietschte der Buchenwalder.
»Do brauchst jo a Lupe, um des zum seng.«
»Na, da wird der Sachverständige anderer Meinung sein.«
»Und woher wuist überhaupts wissen, dess des mei Anni wor?«, wandte der Sepp ein.
Der Buchenwalder zerrte den Sepp in den Fahrzeugschuppen. Von drinnen hörte man ihn kreischen: »Da, das ist eine Spur von meinem schwarzen Lack! Ich werde veranlassen, dass die Polizei das Fahrzeug sicherstellt. Die chemische Analyse wird es schon zeigen.«
»Do brauchst jo an Mikroskop, um des zum seng. De Anni hot jo goar ned merka kenna, dess do a poar Molekül vo deim Karren zu ihrm nübergsprunga san. Und sichergestellt werd hier goar nix, dess des woaßt.«
Die beiden kamen wieder aus dem Fahrzeugschuppen heraus, der Buchenwalder rosenrot im Gesicht, der Sepp ungerührt. Wie sie da so nebeneinanderstanden, fiel mir auf, wie viel älter der Buchenwalder wirkte, obwohl er im gleichen Jahr geboren ist wie der Sepp. Richtig verstaubt, trotz seiner makellosen, teuren Kleidung.
»Und wia ko sich so a oarmseliger Papierheini wia du überhaupts so an BMW F01 leistn? Des geht ja goar ned, ohne dess oaner Dreck am Stecka hot«, schleuderte der Sepp dem Buchenwalder mit jugendlichem Elan entgegen.
Dessen Gesichtsfarbe wandelte sich von Rosenrot zu Holundergrün, und die Augen vom Sepp blitzten vor Befriedigung. So schlecht er auch mit den Menschen auskam, er hatte für sie eine ähnlich gute Empfangsmethode entwickelt wie wir Pflanzen. Der Sepp besaß ein spezielles Riechorgan für die charakteristischen Moleküle, die ein Mensch ausdünstet, wenn er sich unwohl fühlt oder was zu verheimlichen hat. Beim Buchenwalder war ihm optisch wie chemisch sofort klar, dass er ins Blaue geschossen und ins Schwarze getroffen hatte. Er versuchte, einen zweiten Treffer zu landen.
»Geb doch zua, dess du mit dene Urkunden, die wo der Pfaff dir aus christlicher Nächstenliebe schenkt, an flottn Handel treibst und sie ois echt verkaufst!«
Das hatte gesessen. Die Lippen vom Buchenwalder, die noch etwas Röte bewahrt hatten, glichen sich dem Holundergrün an.
»Un-Un-Un-Unverschämtheit! Un-Un-Un-Unterstellung! Un-Un-Un-Un…«
Ich habe keine Ahnung, was er sonst noch gekreischt hätte, wenn nicht gerade die Anni vom Kaffeetrinken zurückgekommen wäre.
Jetzt stürzt er sich gleich wütend auf sie, dachte ich, aber nein, er stürzte sich stattdessen in seine Karosse, patschte lieblos die Türe zu und legte einen kolossalen Kavaliersstart rückwärts in Richtung Straße hin. Bloß ohne Staubwolke, weil der Vorplatz des Fahrzeugschuppens asphaltiert ist.
Fünf
Am Montag gab es gleich noch einen Überraschungsbesuch. Ein königsblauer BMW der Oberklasse schnurrte am Gärtnerhaus vorbei und blieb mitten in der Einfahrt stehen, sodass garantiert weder rechts noch links davon ein anderes Auto vorbeikommen konnte.
Der Jens
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