Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
Besuch anzukündigen. Man weiß nie, was in der Zwischenzeit passieren kann.
Ein Mädchen mit bleichem, sommersprossigem Teint öffnete. Sie hatte ein Gesicht, in dem man schon jetzt nicht mehr lesen konnte. Später, als erwachsene Frau, würde man sie als rätselhaft bezeichnen.
»Ist deine Mutter zu Hause?«
»Für wen?«
»Roland Hassel. Kriminalinspektor.«
Das Mädchen studierte meine ID-Karte und schloß die Tür, bevor sie ihrer Mutter die sensationelle Nachricht weitergab. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie wieder aufmachte, und zwar so weit, daß ich hineinschlüpfen konnte.
»Sie sitzt in der Küche.«
Das Mädchen, offenbar Karstens Tochter Viola, verschwand in einem Zimmer, und ich mußte die Küche alleine suchen. Es war nicht schwer, ich ging einfach dem Bratenduft nach. Die Küche war klein, und wenn man dort essen wollte, mußte es eng werden, aber ich war ja nicht zum Mittag eingeladen und hatte daher keinen Grund zur Klage. Helga Lund saß am Tisch und rührte in einer gelben Plastikschüssel. Ich zückte meinen Ausweis, und sie nickte in Richtung des zweiten Stuhles, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen.
Es war nicht schwer zu erkennen, wem Viola ähnelte. Helgas Gesicht war glatt und ausdruckslos, und die Lider bildeten wirkungsvolle Vorhänge für die Szenen, die sich wahrscheinlich in den hellblauen Augen abspielten. Auf den ersten Blick sah sie jünger aus als zweiundfünfzig, aber je länger man sie ansah, desto älter wurde sie. Sie schien eine kraftvolle Frau zu sein, die ihre Energien unter Kontrolle hatte.
»Zuckerplätzchen?« fragte ich.
»Tigerplätzchen.«
»Klingt gut.«
»Das Rezept steht in jedem Kochbuch.«
Ein nichtssagender Wortwechsel, der keinen Sinn hatte, aber irgend etwas mußte man ja sagen, wenn man ein Gespräch mit einer Frau führen wollte, die gerade ihren geschiedenen Mann verloren hatte. Wie schmeckten übrigens Tigerplätzchen?
»Es geht um Karsten. Es war meine Wohnung, wo er tot aufgefunden wurde.«
Sie rührte unbeirrt weiter und schaute nur ab und zu prüfend auf den Teig. Meine Eröffnung schien sie nicht sehr beeindruckt zu haben.
»So ein Ende habe ich ihm nicht gewünscht«, sagte sie mit gespielter oder auch echter Gleichgültigkeit. »Aber er hatte ja so viele Marotten.«
»Marotten?«
»Ein altes Wort für Spleen.«
»Erzähl ein bißchen von ihm.«
»Was soll ich denn erzählen?«
»Alles, wovon du glaubst, daß es mich interessieren könnte.«
Sie hörte nicht auf zu rühren, und ich bekam Lust, sie um eine Kostprobe zu bitten. Wenn meine Mutter Zuckerplätzchen backte, durften mein Bruder Torsten und ich immer die Teigreste aus der Schüssel kratzen, und ich konnte mich noch gut erinnern, wie herrlich das schmeckte. Aber sie wollte wohl selbst naschen und nicht noch ein anderes Leckermaul dazu einladen.
»Es war ein Fehler, ihn zu heiraten. Man lebt nur einmal, und ich habe mein Leben vergeudet. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Warum war es ein Fehler?«
»Alles Gold, was er mir versprochen hatte, wurde zu Asche. Er war ein Tagträumer und Lebenslügner; als Ehemänner sind solche Typen Katastrophen.«
»War es schwer, mit ihm zu leben?«
Sie stieß einen Laut aus, der wohl ein bitteres Lachen darstellen sollte.
»Er hat mich nie geprügelt, wenn du das meinst. Tagträumer sind keine Gewalttäter. Auch ich schlug ihn nie, obwohl es vielleicht besser gewesen wäre. Ich bin Realist, und Realisten können zu Mitteln der Gewalt greifen. Aber gleichzeitig bin ich zu beherrscht, um überzukochen.«
»Hast du dich selbst analysiert?«
»Ich weiß genau, welche Sorte Mensch ich bin. Ich handle nicht unüberlegt. Es gibt immer Gründe für das, was ich tue, und die kenne ich im wesentlichen.«
Sie hatte offensichtlich getan, was ich nie gewagt hatte. Ich fürchtete mich geradezu davor, in meinem Inneren zu graben, weil ich nicht wußte, was ich dort finden würde. Zwei Meter tief war ich vielleicht gekommen, aber viele Kilometer unbekannter Schichten von Gut und Böse standen mir noch bevor.
»In welcher Hinsicht war er denn schwierig?«
»Karsten war Fanatiker und ging in seinen Lebenslügen voll und ganz auf. Viola und ich hatten es nicht leicht. Es ist erniedrigend, wenn man kein Geld hat. Hier in dieser Wohnung bin ich geboren und auch geblieben, als meine Eltern früh starben.
Trotzdem bin ich kein Stadtmensch. Ich brauche ein bißchen Grün um mich herum. Karsten versprach mir eine Villa und einen herrlichen Garten
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