Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
angeschlossen, zum Beispiel der World Union of Nationalsocialists oder der European Nationalsocialist Union. Man tauscht Erfahrungen aller Art aus. Man berät sich gegenseitig, wie die organisierte Gewalt am effektivsten eingesetzt werden kann. Die Parteien und Verbände sind inzwischen sehr gut bei Kasse und arrangieren unter anderem internationale Lager. Das Neue in den letzten Jahren besteht darin, daß es in verschiedenen Ländern, auch bei uns, Geheimorganisationen gibt. Sie werden von jemandem geleitet, der vermutlich nach Anweisungen des Weltrates oder eines ähnlichen Gremiums handelt. Neu ist auch, daß Instrukteure umherreisen, die lehren, wie man am besten Schrecken verbreitet und Gegner zum Schweigen bringt. Das habe ich aus verschiedenen zuverlässigen und voneinander unabhängigen Quellen gehört.«
»Was wird damit bezweckt?«
»Man will zunächst einmal Unruhe schaffen. Mord, Mißhandlungen und Terror sollen die Gesellschaft dazu bringen einzugreifen. Daraus erwächst eine Konfrontation, man schafft Märtyrer, denn Märtyrer sind für Gewaltideologien unabdingbar. Allmählich schaukelt sich die Gewalt dann zum Chaos auf, die Auseinandersetzung wird immer härter, und zum Schluß übernimmt die auserwählte Elite die Macht. Das ist keine Utopie, das hat es schon gegeben. Eine kleine Gruppe total skrupelloser Personen kann eine sehr effektive Armee sein.«
Simon konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, und ich stimmte ein.
»Dabei haben wir ja schon Gewalt genug heutzutage, sogar auf den Fußballplätzen …«
»Die Gewalt auf den Tribünen ist organisiert. Hinter den fürchterlichen Krawallszenen in verschiedenen internationalen Stadien, die schon einige Todesopfer gefordert haben, steckt die National Front. Die Anstifter sind bereits identifiziert. Eine Handvoll Provokateure hat das Ganze zu verantworten – genau dasselbe kann und wird in der Gesellschaft insgesamt geschehen.«
Er legte uns eine umfangreiche Dokumentation vor, die Namen und Fotos junger Briten enthielt, die der National Front angehörten. Bei jedem war vermerkt, an welchen Aktionen er teilgenommen hatte. Die Briten schauten etwas mürrisch in die Kamera und machten sich offenbar nicht allzuviel aus der Ehre, fotografiert zu werden.
»Karsten Lund hat es also geschafft, sich in diese Geheimorganisation einzuschleichen. Jemand, der in der Szene als zuverlässig gilt, muß ihn empfohlen haben. Es ist sehr wichtig, daß ihr diesen Verein unschädlich macht, denn sonst wird es in Schweden bald sehr ungemütlich werden.«
Ich räusperte mich, denn ich wollte zum erstenmal in das Gespräch eingreifen. Und ich bin ja so schüchtern.
»Die Angaben auf Karsten Lunds Diskette entscheiden also über Sein oder Nichtsein der Geheimorganisation der Neonazis. Wir müssen sie vor ihnen finden.«
»Genau. Ihr müßt sie zuerst finden.«
»Wir sollten auch daran denken, daß sie für den, in dessen Besitz sie ist, einen großen Wert darstellt. Er könnte sie erpresserisch nutzen.«
»Das dürfte ein Spiel mit dem Leben werden.«
»Vielleicht ist dieser Einsatz demjenigen nicht zu hoch. Selbst wenn er kein Nazi wäre, würde er vermutlich lieber schnell reich, als uns zu helfen, die Gewalttäter dingfest zu machen.«
Kalster machte eine hilflose Geste.
»Egoisten gibt es überall. Wir werden sehen. Ich möchte noch erklären, warum ich darauf bestand, daß ein Polizist höheren Ranges anwesend sein sollte. Ich möchte gern eine Garantie, daß mir die Diskette zur Verfügung steht, wenn ihr den Fall gelöst habt. Schließlich hatte ich ja quasi ein Abkommen mit Lund. Ich kann schnell einen erfahrenen Autor finden, der aus dem Material ein Buch zusammenstellt. Das hat nichts mit Geld zu tun. Ich kann meinerseits versichern, daß ich eventuelle Einnahmen einem geeigneten Fonds zur Verfügung stellen würde. Aber die internationale Öffentlichkeit muß aufgerüttelt werden!«
»Wir werden darüber nachdenken. Wirst du nicht auch selbst bedroht?«
Er zuckte die Achseln.
»Nicht direkt. Die Neonazis haben nicht unbedingt etwas dagegen, wenn man über sie schreibt. Sie fühlen sich oft sogar geschmeichelt, wenn man sie als gefährlich und als Schreckfiguren bezeichnet. Natürlich hätte ich nicht mehr lange zu leben, wenn sie an die Macht kämen, aber die Gefahr muß man schon auf sich nehmen. Ich will mich nicht schämen müssen, wenn ich in den Spiegel schaue.«
Wir standen auf und schüttelten uns zum Abschied die Hände. Als wir zur
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