Roland Hassel - 14 - Piraten
äußerst wachsam zu sein.
Bei dem Wagen handelte es sich um eine lange Limousine; vom Chauffeur konnte ich nur die Uniformmütze und das kurzgeschnittene Nackenhaar erkennen. Die Rückbank war breit und weich und bequem. Die Extrasitze uns gegenüber waren hochgeklappt, so daß die Beine viel Platz hatten. Durch die getönten Scheiben konnte ich zwar hinausschauen, doch niemand von draußen konnte beobachten, wie ich regelrecht gekidnappt wurde, mitten im ruhigsten Stadtteil von Stockholm.
Meine Begleiter waren keine Gorillas, sondern normal gebaute Männer, die allerdings besonders energisch und entschlossen schienen. Sie trugen feine Anzüge; man hätte sie für mittlere Geschäftsleute auf dem Weg zu einem Repräsentationsessen halten können. Mein linker Nachbar trug einen Ehering, wahrscheinlich führte er ein ordentliches Familienleben, wenn er nicht gerade Menschen entführte.
Wohin ging die Reise? Aha, über die Stadshusbron in Richtung Gamla Stan und Monkbroleden. Der Regen bewirkte, daß das Licht von Fenstern, Lampen und Straßenlaternen im feuchten Asphalt gespiegelt wurde. Die Wischerblätter glitten über die Frontscheibe und hinterließen schmale Streifen, die wie Perlenketten schimmerten. Durch die getönten Scheiben erhielt der Himmel eine ganz besondere, samtene Farbe. Jetzt fuhren wir am Stadsgarden entlang nach Nacka.
Der Anrufer hatte sich als Johansson vom Bereitschaftsdienst vorgestellt, überzeugend geklungen und Aberg, Odler und Simon erwähnt. Wenn es sich um einen Verräter handelte, kam nur ein sehr kleiner Kreis innerhalb der Polizei in Frage. Vielleicht war es auch ein Zufall, daß Johansson mich angerufen hatte, während die Kidnapper vor dem Haus auf mich warteten.
»Wohin fahren wir?« fragte ich.
Sie rührten sich nicht, und ich hatte auch keine Antwort erwartet. Entführer sind selten gesprächig.
»Vielleicht habt ihr den Falschen erwischt?«
Ihre Gesichter zeigten keine Regung.
»Ich heiße Roland Hassel und bin für eine Entführung völlig ungeeignet. Bei mir ist kein Geld zu holen.«
Falls sie sich geirrt hatten, blieben sie dabei. Es war unbegreiflich. Intell kannte mich nicht als Hassel. Niemand, der daran interessiert sein konnte, den Zeugen eines Versicherungsbetrugs zum Schweigen zu bringen, wußte von meiner Existenz. Aberg und Saxo hatten keinen mehr informieren können, und wozu auch? Sie saßen hinter Gittern, und niemand konnte sich einbilden, daß man sie gegen eine Geisel austauschen würde. So etwas funktioniert nicht, nicht einmal im Kino.
Der Wagen bog nach Fisksätra und Saltsjöbaden ab. Schwarze Waldstücke wechselten mit hell erleuchteten Ortschaften. Wir fuhren die Küstenstraße entlang. Protzige Villen klebten wie Adlerhorste am Steilhang. Der Chauffeur fand sich im Gewirr der Wege hervorragend zurecht. Warum trug er eine Uniformmütze? Gab es überhaupt noch Privatchauffeure? Vielleicht für die Reichsten der Reichen. Möglicherweise galt es wieder als schick, wenn einer in Livree hinter dem Lenkrad saß.
Die Grundstücke wurden immer größer, wie auch die Gebäude, die dazugehörten. Im Dunkeln nahmen sie die Konturen von Herrenhäusern, Palästen und Schlössern an. Dann fuhr der Wagen langsamer und bog in einen schmaleren Weg ein. Durch ein weißes Tor rollten wir über einen Kiesweg auf ein Haus zu, das zu den größten in der Gegend gehörte. Einer der Männer schaltete die Innenbeleuchtung ein. Der andere öffnete das Sakko und zeigte eine rote Plastikpistole. Dabei grinste er wie ein Schuljunge.
»Das Lieblingsspielzeug meines Jüngsten. Wir sollten dich nur schnell und diskret herbringen. Es hat Spaß gemacht, ein bißchen Gangster zu mimen.«
»Was zum Teufel …«
»Sprich lieber nicht darüber. So sehr haben wir dich doch gar nicht erschreckt.«
Der andere stieg aus und öffnete mir die Tür. Natürlich war ich verwirrt. Eine Bedrohung hatte sich plötzlich in eine Varieténummer verwandelt. Der Wagen wendete und fuhr davon. Bis auf ein paar kleine Lampen zu beiden Seiten des Eingangs lag das Haus im Dunkeln. Was blieb mir übrig, als die Treppe hinaufzusteigen? Die Tür schimmerte kupfermatt. Mit einem schweren Klopfring machte ich mich bemerkbar. Lautlos glitt die schwere Platte zur Seite; ich tippte auf Kugellager. Vor mir stand Carl Hiller. Verblüfft glotzte ich ihn an.
»Du?«
»Ja, ich. Ich darf dich Willkommen heißen.«
»Was zur Hölle sollte die Maskerade?«
»Es war wichtig, daß niemand erfuhr, wohin deine
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