Roland Hassel - 14 - Piraten
freundlicher, offener Mann, der seinen Beruf liebte, und da mein Vater vor seiner Gasvergiftung auch als Taxichauffeur gearbeitet hatte, entdeckten wir einige Gemeinsamkeiten. Wie seine Tochter sprach er einen ausgeprägten Söderdialekt. Zwischen den beiden herrschte ein scheinbar scharfer Ton, doch wenn man genau hinhörte, merkte man, wie gern sie sich hatten.
Und es machte Spaß, ihnen zu lauschen, normalen Menschen, die ein normales Leben mit normalen Problemen lebten und sich umeinander kümmerten. Erland Ridenmann, Bill Intell und ihre Kumpane konnten mit dem Kopf gegen die Wand rennen, diesen Menschen konnten sie nicht das Wasser reichen, dagegen waren sie geistige Krüppel mit Geld als einziger Krücke.
»Meinst du nicht, daß das Mädel mager geworden ist?« fragte Myrnas Vater. »Glaubst du, sie ist krank?«
»Was quatscht du da, Papa! Wenn ich auf die Waage steige, reicht die Skala nicht aus.«
»Du bist dünn wie eine Bohnenstange. Iß mehr! Hassel, kannst du ihr nicht ab und zu was zwischen die Zähne schieben, wenn ihr das Pflaster tretet?«
»Ich verspreche, daß ich es versuchen werde, doch wahrscheinlich wird sie mich in den Finger beißen.«
»Genau wie ihre Mutter, die zeigt einem auch bei jeder Gelegenheit die Zähne! Will jemand noch ’nen Pott Kaffee, bevor wir uns auf die Socken machen?«
Myrna und ich fuhren nach Kärrtorp, wo wir einen alten Dieb zu einem alten Diebstahl befragen sollten, doch er glänzte durch Abwesenheit. Auf Lidingö suchten wir nach einer Frau, die uns Informationen über einen gesuchten Scheckbetrüger geben sollte, aber sie hatte sich den Oberschenkel gebrochen und lag im Krankenhaus. In Sundbyberg hatte ein Rentner angegeben, daß sein Enkel an einer Brandstiftung beteiligt gewesen war, und da wir den Jungen kannten, wollten wir mehr darüber hören, doch der Opa zog seine Anzeige zurück und stellte das Ganze als einen Scherz dar. Wir glaubten ihm nicht. In seine Augen trat ein gehetzter Ausdruck, als ob das Leben plötzlich grau und trostlos wäre. Solche Reaktionen beobachtet man an schwedischen Ehemännern, wenn die Gattin ankündigt, daß der große Hausputz bevorsteht. Offenbar hatte der Enkel versprochen, seinem Großvater sämtliche Knochen zu brechen, falls dieser auspacken würde.
Am späten Nachmittag waren wir in einem der weniger feinen Vororte, die man ihrem Schicksal überlassen hatte, nachdem die Natur planiert und langweilige Häuserscheiben errichtet worden waren. Ghettoisierung, Stigmatisierung und Tristesse wegen der hoffnungslosen Situation, aber auch eine schleichende Wut bei denen, die sich um ihr einziges Leben betrogen fühlten und noch die Kraft zum Ausbrechen hatten. Die Bitterkeit fraß wie Salzsäure, aufgestaute Aggressionen brachen sich Bahn. Aber alles läßt sich ändern, wenn man verändern will. Aggression kann in positive Kraftfelder, Zorn in Engagement, Bitterkeit in Lebensfreude verwandelt werden. Höheren Ortes findet man schöne Worte der Sympathie, die wie ein warmer Regen über ausgedorrtem Land herniedergehen, aber Geld gibt es keines, und also kann nichts wachsen. Die über Wohl und Wehe bestimmen, falten lieber die Hände und hoffen auf ein Mirakel – aber die Zeit der Wunder ist vorbei. Und die Bomben ticken.
Der Gesuchte sollte etwas später nach Hause kommen, und wir warteten im Auto. Eine Bande von fünfzehn- bis achtzehnjährigen Jungen schlich auf dem Weg zur U-Bahn oder dem Einkaufszentrum nahe an unserem Wagen vorbei. Man sah den Burschen an, daß mit ihnen nicht gut Kirschen essen war. Ein abfälliges Wort, und sie würden zuerst das Auto und dann uns auseinandernehmen. Wir kannten die Sorte, es gab sie in allen Vororten. Nichts im Kopf, dafür mit um so dickeren Muskeln bepackt, streifen sie umher und suchen nach Gelegenheiten, ihre Aggressionen auszuleben. Vorbilder sehen sie in amerikanischen Serienhelden. Der geringste Anlaß genügt, um loszuschlagen, und wenn es keinen gibt, dann schafft man sich einen. Ihre Augen glänzten, und wir wußten Bescheid. Es heißt, daß schon die Wikinger Mittel genommen haben sollen, um sich in Raserei zu versetzen. Auch unsere Zeit hat Rezepte, um die Vernunft auszuschalten und Hemmschwellen zu senken. In einem Glas mischt man Bier, anabole Steroide verschiedener Art und Amphetamin. Man trinkt die Flüssigkeit wie bei einem Ritual. Die Wirklichkeit treibt davon, die Fäuste ballen sich, man wird unbesiegbar und will es beweisen, will die verzerrte Welt erobern und zu
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