Roland Hassel - 14 - Piraten
seiner Kajüte herumzuscharwenzeln.
Zu trinken gab es Wasser oder Bier. Härtere alkoholische Getränke waren, wie in der gesamten internationalen Handelsflotte, strikt verboten. Es stand zuviel auf dem Spiel; man konnte nicht riskieren, daß ein betrunkener Seemann den geringsten Fehler machte. Und im Hafen war keine Zeit; kaum angekommen, legte das Schiff auch schon wieder ab. Liegezeiten kosteten Geld; also waren die Be- und Entladezeiten so gestrafft worden, daß die Schiffe kaum Atem holen konnten, bevor die Segel wieder gesetzt beziehungsweise die Motoren angelassen wurden. Die Seemannsromantik behauptet, daß ein Matrose in jedem Hafen ein Mädchen hat, aber das schafft er gar nicht, so daß sich die Frauen wohl mit Ansichtskarten begnügen müssen.
Die kleine Welt, die nun die meine war, lebte rund um die Uhr; Tag und Nacht schlug der Puls der Motoren und ging einem in Fleisch und Blut über. Dazu kam das Rauschen, mit dem das Schiff durch das Wasser schnitt, das Singen des Windes, der die Ladekräne knacken ließ, das Surren der Antennen und das Klirren der Ketten.
Die Leuten an Bord unterhielten sich mit mir und zeigten mir Fotos von Frauen, Kindern, Bräuten, Freundinnen oder Eltern. Alle sehnten sie sich nach Hause, aber sie brauchten Geld und hatten keinen anderen Beruf als den des Seemanns. Sie verfluchten ihr Schicksal, das sie zwang, zur See zu fahren. Ich verstand sie voll und ganz. Auch ich sehnte mich nach Virena, und mein Schicksal war es, Kakerlaken zu zertrampeln.
Aus Gesichtern wurden mit der Zeit Individuen. Ramon Ngo sang, spielte wehmütige Balladen auf der Gitarre und träumte von einer Karriere als Popsänger. Der kleine Huan Rabanal, der sich einbildete, krank zu sein und Unmengen von »stärkenden« Pillen und Mixturen konsumierte, verfügte über Selbstironie und verlachte seine Hirngespinste, fühlte sich aber dennoch gräßlich. Der ständig quasselnde Fanio Lazaro kannte tausend Anekdoten und zotige Witze, die er in Bars und Hotelfoyers aufgeschnappt hatte. Alfredo Dizon dagegen war so etwas wie ein Künstler; er verbrachte jede freie Minute damit, Modelle von Segelschiffen zu basteln; richtige Holzschiffe, die Geduld und Fingerfertigkeit verlangten.
Wir befanden uns nach wie vor im Mittelmeer. Manchmal konnte ich auf beiden Seiten Küsten erkennen, manchmal nur die europäische; dann wieder sah ich nur den Horizont und begriff, daß wir tatsächlich ein großes Meer befuhren. Das sonnige Wetter hielt an; der knallblaue Himmel spiegelte sich im Wasser und setzte Grünspan an.
Was verbarg sich im Frachtraum? An Flugzeugmotoren glaubte ich keine Minute, aber was hatten wir wirklich geladen? Für meinen späteren Bericht mußte ich es wissen – falls ich je dazu kam, einen zu schreiben. Die Luken waren geschlossen. Obwohl sie sich aufgrund der durchgerosteten Beschläge sicher leicht öffnen ließen, war es doch unmöglich, dies in aller Heimlichkeit zu tun. Es gab allerdings in der Nähe der Aufbauten eine Inspektionsluke, durch die ich im Schutze der Nacht vielleicht einsteigen konnte. Und wenn ich Machec einfach fragte? Aber dann würde er Verdacht schöpfen. Auch der Mannschaft mußte es seltsam vorkommen, wenn sich der Steward der Offiziersmesse für den Laderaum interessierte.
Es war die dritte Nacht auf See, und wir näherten uns der Straße von Gibraltar. Zu den sonnenhellen Tagen gehörten samtschwarze Nächte. Mit einer Taschenlampe bewaffnet schlich ich mich gegen ein Uhr aus der Kabine und tastete mich an der Reling entlang, bis ich in Höhe der Inspektionsluke war. Die Lampe konnte ich erst unter Deck anmachen, sonst hätte der Ausguck den Lichtschein bemerkt. Zwei Mann und ein Offizier waren stets an Deck, ebenso viele hielten im Maschinenraum Wache.
Die letzten Meter legte ich kriechend zurück und ärgerte mich. Wie so oft in meinem Leben hatte ich eine Sache begonnen, ohne sie zuvor ordentlich zu durchdenken. Schon oft war ich Impulsen gefolgt, und dann war alles schief gelaufen, weil ich die Konsequenzen nicht beachtet hatte. Der eventuelle Bericht war gar nicht so wichtig; ich hatte wie ein Polizist gedacht, ohne die besondere Situation zu berücksichtigen. Dummkopf, Holzkopf – ich beschimpfte mich auf jede erdenkliche Art, aber das konnte die Lage auch nicht verbessern.
Ich tastete über Deck und fand die Luke. Der Verschluß war leicht zu öffnen, doch ein scharfes Knirschen ließ sich dabei nicht vermeiden. Ich hielt den Atem an und erwartete, jeden
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