Rolandsrache
sie hat nun niemanden mehr.«
Anna weinte bei dem Gedanken, und es kam die Sorge hinzu, dass ihre Mutter vielleicht wieder krank werden könnte.
»Um mich musst du dich nicht mehr kümmern, denn ich sehe keine Hoffnung mehr. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, werde ich Heinrich töten. Bitte verzeih mir, aber ich kann nicht anders. Sollte ich je wieder nach Hause kommen, werde ich sofort in die Kirche gehen und Buße tun. Amen.«
Eine Weile starrte sie in den Himmel, sah, wie die Wolkenschichten unterschiedlich schnell vorüberzogen. Hin und wieder wurden sie dünner, und der Schein des Halbmonds drang silbrig durch die Wolkendecke. Anna drehte sich so, dass ihr Rücken die Wärme des Feuers abbekam. Der Schmerz beim Atmen hatte nachgelassen, und sie spürte auch keinen Schwindel oder Hustenreiz. Krank wäre sie für Heinrich sicher eine Belastung, derer er sich schnell entledigen würde. Sie musste einfach kämpfen, für sich und für ihre Mutter und vor allem, damit sie Heinrich eines Tages zur Strecke bringen konnte.
18
Als Claas nach dem Kampf mit hämmernden Kopfschmerzen zu sich gekommen war, war er allein.
Überall war Blut gewesen. Heinrich musste ihm irgendetwas auf den Kopf geschlagen haben, denn dort hatte er eine tiefe Wunde. Vergeblich suchte er nach Anna, rief ihren Namen, doch sie war verschwunden, ebenso wie Heinrich. Claas schleppte sich auf den Gang hinaus und schrie um Hilfe, worauf einige Geistliche zusammenliefen. In knappen Worten berichtete er von dem Geschehen.
Er war zu den Heilern von St. Petri gebracht worden, die seine Wunde nähten. Ihnen erzählte Claas ausführlich, was geschehen war, dass der Erzbischof nicht an einer Krankheit litt, sondern von Heinrich vergiftet wurde und die Kräuterfrau es herausgefunden hatte. Nach anfänglichem Misstrauen glaubten die Geistlichen ihm schließlich. Sie schickten nach Mechthild, damit diese berichten konnte, welches Gift dem Erzbischof verabreicht wurde. Darauf beratschlagten sie gemeinsam mit der Kräuterfrau, was zu tun sei.
Schon zwei Tage später kam der Erzbischof selbst an Claas’ Lager, um ihm zu danken. Er versicherte Claas, dass sie bereits alles taten, um Anna und Heinrich zu finden. Er fragte nach den Zusammenhängen der ganzen Geschehnisse, und Claas gab preis, was er wusste. Nur die Tatsache, dass sie an einem Roland bauten, verschwieg er weiterhin.
Annas Mutter hatte von zwei Nonnen erfahren, was geschehen war. Weinend war sie zusammengebrochen und wurde seither von einigen Beginen betreut. Als sie Claas heute besuchte, weinten und beteten sie gemeinsam.
»Die Kirche weiß nichts von dem Roland, habt keine Sorge«, sagte Claas verbittert zum Ratsherrn.
»Ich danke dir im Namen der Stadt, dass du nichts verraten hast, aber meine Sorge gilt im Moment deiner Anna. Ich bin sicher, dass wir sie finden werden.«
»Ich muss sie selbst suchen!« Mit diesen Worten versuchte Claas, sich aus dem Bett zu erheben, doch wieder zuckte der Schmerz der frischen Wunde durch seinen Kopf.
Hemeling drückte ihn sanft nach unten. »In deinem Zustand wirst du ihr nichts nützen. Mach es nicht noch schlimmer. Dreißig Mann sind auf der Suche nach den beiden. Gib ihnen etwas Zeit.«
»Wenn ihr damit die Büttel meint, dann werden sie in der nächsten Schenke sitzen und sich die Hucke vollsaufen.«
»Womit du sicher recht hast, aber ich habe Soldaten geschickt und der Erzbischof seine Kriegsknechte. Hab ein wenig Vertrauen.« Als Hemeling sicher sein konnte, dass Claas liegen blieb, setzte er sich wieder auf den Stuhl, der vor dem Bett stand.
»Ich danke dir für dein Schweigen gegenüber der Kirche. Du hast sehr viel Blut verloren, aber bei der guten Pflege hier bist du bald wieder auf den Beinen. Wenn wir sie bis dahin nicht haben, kannst du selbst suchen.«
Er sah ihn aufmunternd an, doch Claas konnte seine Zuversicht nicht teilen. Nach wie vor fehlte jede Spur von Anna und dem Priester. »Wenn er sie nicht schon getötet hat.«
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Heinrich eine so wichtige Zeugin seiner Schandtaten am Leben lassen würde. Er hatte all die anderen auch aus dem Weg geräumt, warum sollte er sie verschonen? Es wäre ein Leichtes gewesen, sich ihrer gleich in der Schreibkammer zu entledigen. Das Seltsame war, dass es bisher keine Spur von ihr gab, also musste Heinrich sie mitgenommen haben. An diesen Gedanken klammerte er sich, seit er hier lag.
»Nun gib die Hoffnung nicht auf, Claas. Du musst gesund werden, denn wenn wir
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