Rolandsrache
mir einfällt?«
»Nein, was denn?«
»Ich glaube, ich war mit ihm am Stadttor verabredet.«
»Dann hoffen wir, dass er noch da ist.« Wie selbstverständlich ergriff er wieder ihren Arm, den sie ihm dieses Mal jedoch geschickt entzog.
»Regel du das doch bitte mit der Wache, damit sie erfahren, wo der Narbige wohnt. Das Stadttor ist nicht weit und dort stehen genug Wachen, um mich zu schützen. Ich schaffe es schon allein dahin.«
»Aber Anna …«
»Mach dir keine Gedanken. Schau, es sind wieder viele Leute unterwegs, und die Straße zum Tor ist zu belebt, als dass mir hier jemand etwas tun würde«, unterbrach sie ihn und deutete auf den Marktplatz, der sich mit Nachlassen des Schneeschauers langsam wieder füllte.
»Bist du dir sicher?«
»Ja.« Sie lächelte tapfer.
»Also dann …«
»Auf Wiedersehen und vielen Dank für deine Hilfe.«
»Gott sei mit dir.«
Der Ratsherr und zwei Männer blickten ihr verwundert entgegen, als Anna beim Ostertor ankam. Sie berichtete Hemeling aufgeregt, was geschehen war.
»Wie kann eine junge Frau sich nur in derartige Gefahr bringen.« Er war sichtlich verärgert.
»Meine Neugierde wird mir eines Tages zum Verhängnis, das sagt meine Mutter auch immer.«
»Und ich fürchte, sie hat recht.« Er grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich hoffe nur, dass sie den Mann bekommen. Diese Sache beweist, dass ihr nicht sicher seid und damit auch der Bau des Roland in Gefahr ist. Wir müssen über einen Umzug nachdenken.«
»Ich wurde soeben in der Stadt verfolgt, kein Bürger nahm davon Notiz, und Wachen waren auch nicht zu sehen. So sicher ist es also in Bremen auch nicht.«
Er seufzte wie zur Bestätigung und half ihr auf seine Kutsche. Mit dicken Tierfellen ausgelegt, war sie nur für Menschen vorgesehen und darum um einiges sauberer und viel komfortabler als ihre eigene, mit der sie hauptsächlich Steine transportierten.
Ehe sie losfuhren, stellte Hemeling Anna seine beiden Begleiter vor.
»Klaus und Bertram sind immer dabei, wenn ich unterwegs bin. Sie sind mir treu ergeben und stehen seit Langem in meinem Dienst.«
Die Männer nickten Anna freundlich zu. Beide konnten dem Alter nach Hemelings Väter sein. Klaus war ein schlanker Mann mit grauen Haaren und einem üppigen Schnauzbart. Bertram war von kleinerer Statur und hatte rote lockige Haare, in die sich ebenfalls schon etwas Grau mischte. Seine Haut war blass und mit vielen Sommersprossen übersät.
»Wo ist eigentlich Claas, wolltet ihr euch nicht treffen?«, fragte der Ratsherr, als sie schon ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht hatten.
»Ich nehme an, er wurde aufgehalten oder hat vergeblich auf das Schlagen der Domglocke gewartet.«
Hemeling nickte. »Hätte ich nicht zufällig auf die Uhr gesehen, wäre es mir ebenso ergangen. Ich fürchte, der Glöckner liegt wieder einmal vollkommen betrunken in seiner Koje und schläft seinen Rausch aus. Ich werde beizeiten mit ihm reden müssen.«
***
Claas rutschte in den Zuber mit heißem Wasser und tauchte ganz unter. Langsam entspannte er sich ein wenig, doch die Wut in seiner Magengegend wollte noch immer nicht ganz verschwinden. Sobald er seinen Kopf wieder aus dem Wasser steckte, schob Gudrun ihm erneut einen Becher Wein an die Lippen. Gierig trank er von der sauren Flüssigkeit, um zu vergessen, was er gesehen hatte. Dieser Wein war viel stärker als der Verdünnte aus dem »Giebel«. Endlich tat er seine ersehnte Wirkung und benebelte ihm die Sinne.
Gudrun kletterte leicht bekleidet zu ihm in den Zuber und begann ihn sanft zu waschen, wobei ihre Fingernägel immer wieder wie zufällig über seine Haut kratzten. Ein wohliger Schauer floss durch seinen Körper. Nach dem dritten Becher Wein lehnte er seinen Kopf zurück und schloss die Augen. Er stellte sich vor, dass Anna mit ihm in diesem Zuber saß, und zog Gudrun zu sich heran. Sie fuhr mit ihrem Mund über seinen Hals und kraulte seinen Nacken.
»Nimm mich«, hauchte sie in sein Ohr. »Nimm mich, du strammer Bursche.«
Es war nicht Annas liebliche Stimme, die ihn wollte. Doch in diesem Moment sah Claas sie wieder vor sich, wie sie von dem Priester an der Wange gestreichelt wurde. Die verdrängte Wut kochte erneut in ihm auf. Er ergriff sein Gegenüber und zog es an den Haaren nach hinten.
»Nicht so doll, du Dösbaddel«, schimpfte Gudrun, und Claas riss erschrocken seine Augen auf.
Schnell sprang er aus dem Wasser. »Ich kann nicht«, stammelte er und schlüpfte nass in seine
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